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Aufwärts
Jahrgang 20, Nr. 12 (December 15, 1967)
Die Fahrt zwischen Himmel und Erde, pp. 6-9
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S elbst bei härtestem Frost geriet 'man auf diesen Hängen ins Schwitzen. Jakob Onisia troff der Schweiß von Brust und Rücken; er hatte kaum mehr als die Hälfte des Weges über die Anhöhe zu- rückgelegt, und bis nach Petrila waren es noch drei Kilometer, wenn man dem Lauf des Schil folgte. Den Weg von Aninoasa nach Petrosani kreuzten drei tiefe Täler und drei steile Bergkämme, die vom Gebirge ausliefen. Der Pfad, der diese Hindernisse über- wand, stieg dreimal steil an und senkte sich dreimal tief hinab. Ein anstrengen- derer Weg war nicht vorstellbar. Jakob Onisia benutzte diesen Pfad; und sooft er keuchend den Gipfel der Anhöhe er- reicht hatte und sah, daß er sofort auf der anderen Seite niedersteigen müsse, um dann wieder den gegenüberliegenden Hang zu erklimmen, erfaßte ihn stumme Raserei. <Wahrhaftig, eine Strafe", mur- melte er. Und er besann sich, daß er tat- sächlich eine Strafe abzubüßen hatte. Er schämte sich dieser Strafe nicht. Der Chefingenieur hatte ihm auf die Schulter geklopft und gesagt: ,Jakob Onisia, Sie müssen verstehen." Und er hatte ver- standen. Zwei Monate, da wird die Welt nicht untergehn. Es tat ihm damals um nichts leid. Es war im Herbst gewesen, zur Zeit, als man den Pflaumenschnaps brannte. Eines Tages war er nicht ganz sicher auf den Füßen zur zweiten Schicht erschienen. Das heißt: eigentlich konnte er sich kaum gerade halten. Sie wollten ihn nicht unter Tag lassen. Aber er riß sich los und zwängte sich gewaltsam in den Förderkorb. Vergeblich schrien sie von oben in die Grube. War etwas vorge- fallen? Nichts war vorgefallen. Alle muß- ten zugeben, daß es nicht schlecht aus- gegangen war. Er stieg in seinen Stollen, suchte mit niemandem Streit, arbeitete still und lieferte einen Waggon mehr als gewöhnlich. Doch bestraft wurde er trotzdem. Weder der Meister noch der Obersteiger, weder der Grubenleiter noch der Inge- nieurwollten ihn bestrafen.Sie kannten ihn gut, ihn, den Jakob Onisia. Doch der Chefingenieur, ein Feigling, dachte: ,Be- richten wir es lieber nach Bukarest, an die Generaldirektion." ,Weswegen sollen wir einen Bericht nach Bukarest schik- ken?" fragte ihn der Abteilungsleiter. ,Du bist jung", antwortete ihm der Ober- steiger, ,du kennst das Leben noch nicht. Eines Tages werden es andere auch so machen, und es geht schief. Dann wer- den sie in Bukarest melden, daß wir Jakob Onisia nicht bestraft haben, und die Bon- zen dort werden uns fragen: Warum habt ihr den Onisia nicht bestraft? Schreiben wir also hin, damit wir gedeckt sind." Sie berichteten also nach Bukarest über den Vorfall, schrieben auch, daß Jakob Onisia ein braver Kumpel sei, der seit siebzehn Jahren in Aninoasa arbeite und keine Strafe verdiene. Nach zwei Wochen traf aus Bukarest die Antwort ein: Jakob Onisia ist zu bestrafen. Er soll für zwei Monate nach Petrila versetzt werden. Allen tat es leid; sie schlugen ihm auf die Schulter und sagten: ,Onisia, du mußt verstehen." Am 1. November begann Jakob Onisia seine Strafe abzubüßen. Von Aninoasa nach Petrila sind es sechs Kilometer Luftlinie. Die Gondeln einer Drahtseil- bahn legen diesen Weg in einer dreiviertel Stunde zurück. Doch zu Fuß, über die Anhöhen, schafft man ihn kaum in drei Stunden. Wenn Jakob Onisia in der ersten Schicht arbeiten mußte, brach er um drei Uhr nachts auf. Frau und Kinder schliefen noch. Wenn um halb fünf die Sirenen zu heulen begannen, um alle Arbeiter dieser Schicht aus dem Schlaf zu wecken, erstieg er bereits die zweite Anhöhe. Er hatte Mühe, Petrila um sechs Uhr zu erreichen. So ging es seit fünf Wochen. Zweimal hatte er in der dritten Schicht gearbeitet, die von zehn Uhr abends bis zum Morgen dauerte, und zweimal in der ersten. Jetzt kam er zur zweiten Schicht und verließ um zehn Uhr abends seinen Arbeitsplatz. Nur noch wenige Tage, und er hatte es hinter sich. Gut, daß es zu Ende ging, denn er konnte es kaum noch ertragen. Der Weg war eine Strapaze. Ein Paar Schuhe hatte er schon durchgelaufen. Es schien ihm, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan, als steile Pfade bergauf und bergab zu steigen, über seinem Kopf die endlos ziehenden Gon- deln der Drahtseilbahn, die großen schwarzen Vögeln glichen. Als er hier begann, war es noch Herbst gewesen. Weiße Birken mit vergilbtem Laubwerk hatten den Weg gesäumt. Einem Spaziergänger wäre dieser Weg sehr schön erschienen. Vor sich hatte er die Talhänge; bedeckt mit Weinbergen, über denen sich ein dunklerer Streifen hinzog und die gekrönt waren von den in Schnee gehüllten Gipfeln. Auf den von aer Sonne beschienenen Anhöhen die- ser Seite jedoch weideten zwischen den stillen Birken die Bewohner von Dalsha ihr Vieh. Nach ungefähr einer Woche hatte die Regenzeit begonnen und den Pfad auf- geweicht. Mit jedem Tag war der Weg beschwerlicher geworden. Jakob Onisia kämpfte mit den Anhöhen und dachte zornig an die Herren in Bukarest. Was wisssen die, wo Aninoasa und wo Petrila liegt! Sollen sie hier nur ein einziges Mal um drei Uhr nachts wie Gespenster vor dem ersten Hahnenschrei durch den Schmutz waten. Es wurde immer schlim- mer. Der Regen wurde eisig und ging in Schnee über. Wenn man ihm wenigstens erlaubt hätte, mit der Drahtseilbahn zu fahren; doch niemand durfte sie benut- zen. Nur der Linienwärter fuhr einmal täglich von einem Ende zum anderen. Man sah ihn wie eine große Fledermaus mit ausgespannten Flügeln in der Gondel über die Berge schweben. Eine Woche vor Sankt Nikolaus brach der Schneesturm los; und drei Tage spä- ter lag alles unter tiefem Schnee begra- ben. Zuweilen schneite es die ganze Nacht hindurch, so daß die Bewohner von Dalsha am nächsten Morgen neue Pfade in den Schnee treten mußten. Sie brauch- ten Geld für Weihnachten, und darum gingen sie häufig nach Aninoasa oder Petroschan, um dort einen Sack Äpfel oder ein Ferkel zu verkaufen. Als Jakob Onisia in Petrila ankam, stan- den einige alte Witwen in schwarzen Kleidern vor dem Tor des Bergwerks und verkauften den Grubenarbeitern der ersten Schicht, die gerade die Grube ver- ließen, die Sorkova, - blumenverzierte Stäbe für den Neujahrsglückwunsch. Er trat in den Hof, dachte an seine Kinder und machte kehrt, um ebenfalls ein Glück- wunschstäbchen zu kaufen. Abends beim Verlassen der Grube würde er nie- manden mehr vor dem Tor antreffen. Die Sirene heulte langgedehnt die zweite Mittagsstunde. Eilig ging er zum Schacht. Ein großer, kohlengefüllter Eisenofen glühte im Hof unter freiem Himmel, und ein Mädchen in Hosen wärmte sich an ihm die Hände. Lächelnd trat er neben sie und rief ihr noch laufend entgegen: ~Glück auf!" Als ihn einige Kumpel vor dem Schacht- eingang mit dem Blumenstäbchen in der Hand kommen sahen, hänselten sie ihn: ~Hör, Jakob Onisia, nimm es mit in den Stollen; sollst sehn, wie schön das sein wird." ,He, Jakob, nimmst es wohl mit unter Tag, um den Pferden ein fröhliches Neujahr zu wünschen?" Jakob Onisia ließ das Stäbchen eben bei einem der Wagenführer zurück. Im Stol- len traf er einen Kameraden aus Kimpa, mit dem er sich sehr gut bei der Arbeit verstand. Sie lieferten zusammen vier- zehn Waggons. An diesem Tag sprach man in der Grube von nichts anderem als von Wein, Würsten und Schweine- braten. Jakob Onisia hatte vor drei Tagen ge- schlachtet. Den Wein wollte er morgen in Aninoasa kaufen. Die schwarzglän- zende Kohlenwand vor Augen, sah er nichts anderes als die großen roten Fleischstücke vor sich, die zu Hause im Trog lagen. Mit gesteigerter Anspan- nung, fast zornig, schlug er den Hammer in die Kohle. Große Kohlenbrocken fielen ihm vor die Füße. Nur die gutgenährten Pferde zogen schwer und gemächlich die Kohlenwagen, ohne an der Ungeduld, die die Kumpel erfaßt hatte, ohne an den Freuden, mit denen sie sich in Gedanken ständig beschäftigten, teilzunehmen. Nicht einmal das älteste Pferd, das eine Menge Grubengeheimnisse kannte und besondere Ereignisse vorausahnen konn- te, spürte, daß morgen Weihnachten war und sie sich dann in den Ställen zwei Tage lang von der Arbeit ausruhen durften. Um 5 Uhr ließen die Bergleute den Ham- mer ruhen, griffen zur Säge und began- nen die Stollen zu sichern. Während der beiden Festtage sollte es kein Unglück geben. Bis zum Ende der Schicht ver- schalten sie die Stollen mit frischen weißen Brettern, die durch Strebebalken nach allen Seiten hin sorgsam gestützt wurden. Von den Kohlenflözen war fast nichts mehr zu sehen; es roch nach frischem Tannenholz. Nun konnte man die Grube in Ruhe zwei Tage allein las- sen. Im Schein der Glühbirnen, die den Hof erhellten, wirbelten Schneeflocken. Die Bergleute strebten leicht vorgeneigt zum Ausgang. Jeder trug unter dem Arm oder auf dem Rücken seine runde Holzscheibe. Einer nach dem anderen hatte mit Glück- wünschen Abschied genommen, bis Jakob Onisia schließlich allein zurück- blieb. Er begann schneller zu gehen, überquerte die Eisenbahnbrücke, die über den Schil führte, und stieg in die Bukowina-Siedlung hinab. Im Dunkeln hörte er das metallische Klirren der Gon- deln, die an den Tragseilen entlangglitten. Heute abend - dachte er - wird es das fünfte Mal gewesen sein. Es war kälter denn je, und dort oben würde er tüchtig frieren müssen. Aber zu Fuß über die Hügel steigen?... Bisher war Jakob Onisia in der Dunkel- heit viermal verstohlen mit der Drahtseil- bahn nach Aninoasa heimgekehrt, und auch diesmal sollte es nicht anders sein. Niemand würde Verdacht schöpfen; wie ein Vogel würde er in gerader Linie über die drei tiefen Täler hinwegschweben,
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