Page View
Aufwärts
Jahrgang 19, Nr. 1 (January 15, 1966)
Angermann, Gerd
Der zwölfte Mann, p. [24]
Page [24]
Der zwölfte Mann n Wirtschaft und Industrie gehört der Betriebspsychologe seit langem zum festen Bestand jedes modernen Unter- nehmens. Er allein kennt die geheimnis- vollen Zusammenhänge zwischen dem Exterieur des Arbeitsplatzes und dem seelischen Interieur des Beschäftigten und sorgt mit sanftem Streicheln des Unterschwelligen im Arbeitnehmer für eine Steigerung seiner Tagesleistung. Was der Wirtschaft recht ist, muß dem Sport billig sein, denn auch er ist auf Leistungssteigerung bedacht. Dies sagte sich der Fußballverein Meidericher SV und engagierte als erster deutscher Bun- desliga-Klub für teures Geld einen Ver- einspsychologen. Das krempelt den ganzen Fußball um. War man bisher gewohnt, einen Spieler nach seiner äußeren Form zu beurteilen, wird man künftig auch seine seelische Kondition mit einbeziehen müssen. Auch wird der Fußballfan in Zukunft ohne Sig- mund Freud nicht mehr auskommen. Ent- weder er kann eine Zwangsneurose von einer Phobie unterscheiden, oder er wird nicht mehr mitreden können. Mit Tuten und Blasen und ~Schiedsrich- ter pfui!" ist es nicht mehr getan. Damit konnte man die seelisch verklemmten Spieler einer vergangenen Fußballära an- feuern, die beim Sturm über den grünen Rasen nicht wußten, welche Menge Kom- plexe sie mit sich herumschleppten. Wie- viel Kombinationen mögen in den Eimer gegangen sein, nur weil das Es des Spie- lers der Kontrolle durch sein Ober-Ich vor- übergehend entglitten war? Wieviel Tore wurden allein deshalb nicht geschossen, weil im Moment des Schusses irgendeine störende Zwangsassoziation das Unter- bewußte des Schützen hemmend über- lagerte? In Zukunft sorgt der Vereinspsychiater dafür, daß solches nicht mehr passieren kann. Der Rest des Jahrhunderts gehört der tiefenpsychologisch durchgewalkten Elf. Folgerichtig wird die Frage des Sport- reporters vor Beginn eines Spieles an den Mannschaftskapitän zukünftig nicht mehr lauten: ~Wie sind Ihre Jungs heute in Form?", sondern: <Hat der Seeleninge- nieur ordentliche Arbeit geleistet, und fühlt sich Ihre Elf hinreichend enthemmt?" Natürlich kann auch dem Seelenarzt ein- mal ein Mißgeschick unterlaufen, zum Beispiel wenn er den Mittelstürmer mit der Psychotherapie für eine Agoraphobie behandelt, während eine Therapie gegen Odipuskomplex das richtige gewesen wäre. Aber das sind Kinderkrankheiten. Weit schwieriger wird es sein, die Gegner zwecks Erhöhung des Reizspiegels bei der eigenen Mannschaft zum Tragen roter Leibchen zu überreden, wenn sie bisher etwa grüne trugen. Oder wer hat - -- u arbeit zwischen Wirtschattswerb Sportveranstaltern zu lösen sein Der Meidericher SV hat dem Fußt Wege gewiesen. Es ist nur eine F Zeit, bis jeder Verein seinen festai ten Psychiater haben wird. Der sport ist in die Bereiche des Me schen vorgestoßen, er befindet dem Weg zum Übersinnlichen. schauer wird sich darauf einricht sen. In Zukunft wird nach einem nen Spiel nicht mehr der Schiec verprügelt, sondern der Vereinsi ter. Gerd Angermann
This material may be protected by copyright law (e.g., Title 17, US Code).| For information on re-use see: http://digital.library.wisc.edu/1711.dl/Copyright