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Aufwärts
Jahrgang 19, Nr. 4 (April 15, 1966)
Schäfers, Gottfried
Zwölf Monate täten's auch..., pp. [10]-11
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.stzeit unserer Soldaten / Von Gottfried Schäfers M anchmal schlagen wir unsere Zeit mit diskutieren tot", erzählt mir ein Ge- reiter, der im Stab des 1. Korps In Mün- gter seine Wehrpflicht ableistet, ~da sind iußer mir ein Hauptfeldwebel, ein Haupt- mann, manchmal auch ein Major und %ndere dran beteiligt. Heute kam Haupt- mann L. mit einem Problem. In dem leischergeschäft M. wollte er ein Viertel- >fund einer bestimmten Leberwurstsorte .aufen, aber die hatten nur noch ein Nurstende, weiches 200 Gramm wog. Die Verkäuferin sagte, sie könne ihm nur die .00 Gramm geben, denn wenn sie davon 125 Gramm abschneiden würde, bliebe so eine kleine Ecke übrig, die sich nicht mehr verkaufen ließe. Hauptmann L aber bestand darauf, er wolle ein Viertelpfund laben und nicht 200 Gramm. Schließlich ferließ Hauptmann L. das Geschäft ohne Leberwurst. Bei uns im Büro ging eine )iskussion los. Der Streit wogte hin und ier. Er hätte doch die 200 Gramm neh- nen sollen, meinten einige. Hauptmann -. aber ließ sich nicht von seinem Viertel- fund abbringen. Zu guter Letzt hat er noch angerufen, sich beim Geschäfts- ührer der Firma beschwert und recht ekommen. - Ja, wieder einmal war ein 4achmittag kaputt." Warum nicht nach Haus schicken? Aus dem Leitartikel ,Das offene Geheim- nis" von Adalbert Weinstein, dem Militär- experten der ~Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der der Bundeswehr wohlwol- lend gegenübersteht, lese ich folgenden Absatz vor: ..... Weiter wäre die Frage der Dienstzeit neu zu durchdenken. Als wir die Wehr- pflicht auf 18 Monate erhöhten, taten wir es einfach nicht Außerdem kommt es uns nicht darauf an, einzelne gute Solda- ten zu haben, sondern das Ausbildungs- niveau muß allgemein hoch liegen." ~Sie würden also nicht zustimmen, daß 12 Monate für die Ausbildung genügen", will ich wissen. ~Die 18 Monate sollen ja nicht nur für die soldatische Ausbildung sein", springt ihm Stabsunteroffizier Klaus G. bei, und er berichtet, was den Leuten alles bei- Die Kneipe heißt: ,Zur guten Quelle". Das Bier dort schmeckt ausgezeichnet. In einem Hinterzimmer, das sonst die gute Stube der Wirtsleute abgibt, habe ich mich mit einigen Soldaten zusammen- gesetzt, um über das Für und Wider einer Verkürzung der Wehrpflicht auf 12 Monate tu sprechen. |undeswehr in Super-Gammelhaufen ? iiel oft das Wort vom ,Gammelhaufen'. 3ei einer Wehrdienstzeit von 18 Monaten verden wir bald vom ,Super-Gammel- ,<aufen' sprechen können." iAeine hieran anknüpfende Frage lautet, 1)b sich diese Voraussage bewahrheitet iat, ob die Bundeswehr heute tatsächlich i;in ,Super-Gammelhaufen" ist oder wie ler Dienst sonst ist. Yolfgang R., Gefreiter, 21 Jahre, ant- iwortet als erster: iBei uns im Stab herrscht Saisonarbeit. týnfang des Monats ist wohl einiges zu ,un. Wenn es hoch kommt, sind es acht rage an denen wir wichtig arbeiten. Und ann ist Ruhe. Der Hauptfeldwebel sagt war so schön, er könne mir Arbeit genug ý-eben, aber das läuft dann mehr* oder lieniger auf Beschäftigungstherapie hin- Sie meinen also, daß Sie zu 75 v. H. irer Zeit nutzlos herumsitzen?" frage b:h. 1Ja!" antwortet der Gefreite Wolfgang R. Was tun Sie an Tagen, an denen Sie lichts tun?" möchte ich wissen. dann säßen wir den Rest des Tages herum." Stabsunteroffizier Klaus G. verteidigt die Bundeswehr, indem er den Wehrpflichti- gen vorwirft, sie hätten nicht die richtige Einstellung zu ihrem Dienst. Er gibt zu, daß beim Stab zuviel Soldaten sind, be- gründet es aber mit dem Ernstfall, wo soundso viele Fahrzeuge zubewegen sind. Im technischen Bereich der Bundeswehr sähe es sowieso anders aus. Wir hören uns an, was Alfred W., Gefrei- ter, 21 Jahre, der in der Werkstatt arbeitet, zu berichten weiß: ~Meine Aufgabe in der Werkstatt besteht lediglich darin, Werkzeug auszugeben. Alle fünf Minuten oder alle Viertelstunde kommt jemand und verlangteinen Schrau- benzieher, einen Schlüssel oder eine Öl- kanne. Dies ist allerdings mit so wenig Arbeit verbunden, daß man bequem nebenbei arbeiten könnte." Alfred W. ist jedoch kein Einzelfall. Er erzählt vom Lageristen, der den Kopf auf den Tisch legt, oder vom ,Schreiberling", der zwi- schendurch Kreuzworträtsel löst. das unter dem politischen Druck, der auf Europa lastete. Die Berliner Krise befand sich auf dem Höhepunkt. Die Dienstzeit wurde aber auch auf Wunsch der führen- den deutschen Soldaten erhöht. Man ver- sprach sich eine gediegenere Ausbil- dung. Die Hoffnung, daß die Kompanien besser würden, ist nicht erfüllt worden. Fachleute halten die Zeit von einem Jahr zur Formung einer Truppe für ausrei- chend. Die letzten sechs Monate werden ,vergammelt'. Es wäre zu prüfen, womit mehr psychologischer Schaden angerich- tet wird: mit einer Straffung der Dienst- zeit oder mit dem Verbleiben bei 18 Mona- ten. Die Wehrpflichtigen leiden darunter, daß sie ein halbes Jahr militärisch wenig sinnvoll verbringen müssen." Fähnrich Sch., 24 Jahre, ist stellvertreten- der Zugführer in einer Ausbildungskom- panie. Er meint: <Das Gammeln bei uns kommt meistens daher, weil bestimmte Sachen immer wie- derholt werden müssen. Manche kapieren gebracht werden müsse: Zähneputzen, nicht mit schmutzigen Füßen ins Bett gehen, in einer Gemeinschaft zu leben. Meine Frage, ob sich denn die Bundes- wehr als ~Schule der Nation" betrachte, wird jedoch allgemein verneint. Ich weise darauf hin, daß die Achtzehn- oder Zwanzigjährigen keine Kinder mehr sind. Es sei doch seltsam, wenn unsere Ju- gend, die sonst einen sauberen und ordentlichen Eindruck macht, bei der Bun- deswehr besonders schmutzig sein soll. ~ich kann mir auch nicht vorstellen, daß es so viele Dumme gibt in Deutschland, wie Sie uns weismachen wollen. Ich glaube vielmehr, daß die Wehrpflichtigen zum Teil nicht richtig eingesetzt wer- den." ~Wir erleben die tollsten Dinge. Bei uns im Stab ist doch so einer, der kann nicht einmal ein einfaches Tagebuch führen", erwidert ein Unteroffizier. ,Was ist der Mann denn von Beruf?" möchte ich wissen.
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