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Aufwärts
Jahrgang 8, Nr. 20 (September 29, 1955)
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Wiebe, Philipp
Interview mit einem General, p. [1]
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5eis 20 Pfennig - Nummer 20 Interview mit einem General vo« Mup Wiebe Man sollte die Ressentiments gegen Generale nicht übertreiben, dachte ich, als ich das mit feinem Geschmack eingerichtete Arbeitszim- mer betrat. (Können Sie sich vorstellen, was Generale im Frieden und ohne Division in ihrem Arbeitszimmer tun?) Tapeten und Möbel waren diskret aufeinander abgestimmt, der Schreibtisch entbehrte der Ludendorffschen Wucht, er war zierlich und von heller Eleganz. Auch der General... war elegant, das muß gesagt werden. Seine Kleidung war dabei von jener unaufdringlichen Korrektheit, die bei mir immer die Illusion hervorruft, der Träger sei tatsächlich ein bedeutender Mann (eine Illusion, wie gesagt1). Ich ergriff die mir dar- gebotene kräftige Hand, die erfreulicherweise auf den kernigen Druck, der ihr zweifellos innewohnte, verzichtete. Graue, energische Augen musterten mich, und dieser Blick gab mir die kalte Gewißheit, daß es sich hier tat- sächlich um einen echten General handelte, denn meine Hände gaben einer längst ver- gessenen Reflexbewegung nach: Sie tasteten blitzschnell nach den Knöpfen meines Jacketts, prüfend, ob wenigstens der mittlere geschlos- sen war. Wir setzten uns in niedrige, gerad- linige Sessel, und der General .... nachdem er mir eine Zigarette angeboten hatte (er selbst nahm auch eine, und ich unterdrückte den Impuls, aufzuspringen und ihm in stram- mer Haltung Feuer zu reichen), sagte mit leiser (offenbar befehlsentwöhnter) Stimme: .Nun, mein junger Freund, was möchten Sie wissen?» Ich bin weder jung noch bin ich dein Freund, dachte ich und versuchte, meinem Gesicht einen noch zivileren Ausdruck zu geben. .Wie stehen Sie, Herr General, zu der Wieder- aufrüstung?« fragte Ich. (Oder muß es schon wieder heißen: <Wie stehen Herr General?») .Nun, ich bejahe sie natürlich», sagte der General ... sichtlich bemüht, den Fauxpas meiner Anrede zu ignorieren. Gleichzeitig kam mir die Torheit meiner ersten Frage zum Be- wußtsein, was mich aber nicht abhielt, die zweite Frage noch törichter zu formulieren: .Haben Sie vor, wieder in den aktiven Dienst zu treten?" .Bis heute, mein junger Freund, habe ich mich noch nie als inaktiv betrachtet. Ich gehöre nicht zu jenen Kameraden, denen 1945 eine Welt zusammenbrach. Ich wußte als alter Soldat immer, daß man auf uns zurückgreifen würde, wenn die Politiker den Vorteil der militärischen Macht neu entdecken.» <Glauben Sie, daß militärische Macht ein Vor- teil ist?" (Fragen habe ich da einem General gestellt, nicht wahr? Fragen!) .0 ja, ein eminenter sogar. Ein Heer würde die diplomatische Kunst befruchten - denken Sie an Bismarck. Politische Forderungen er- hielten Nachdruck, denn eine Regierung ohne militärische Kulisse muß ein armseliger Sta- tist auf der Bühne der Weltpolitik bleiben." (Wer, überlegte ich, wer hat das nur vor etwa zwanzig Jahren schon mal behauptet? Wer?) Ich fragte: <Rechnen Sie, Herr General, mit einem Ihrem Rang entsprechenden Kommando?" Fortsetzung Seite 3 er IM 7:
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