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Aufwärts
Jahrgang 4, Nr. 13 (June 30, 1951)
Heiterer Stierkampf, p. 10
Biedorf, Wilhelm
Fahrt durch Flandern, pp. 10-[11]
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H E ITE R E R Ein Erlebnis in der Provence von Johannes Selbdritt, illustriert von Werner Labbe Es begann damit, daþ die alten Ackerg"ule in ihren bunten Decken gravit"tisch wie St–rche die F¸þe hoben. Voran ritt Jean auf seinem Esel, einen Spazierstock in der Hand, an den er wie einen Kinderballon eine luft- gef¸llte, rotbemalte Schweinsblase gebunden hatte. Das volle, bis auf den letzten Platz besetzte Theater von Arles verstummte bei unserem Einzug, ¸berall zwischen den dunk- len R–cken der M"nner erhoben sich auf dem grauen Gem"uer zahllos wie weiþe Pilze die Sonnenschirme der Frauen. Guten Tag, B¸rger von Arles! Eure H"user sind also doch nicht unbewohnt; Ich hatte das Gef¸hl, als wenn sie mir antworten m¸þten. Willkommen in Arles! sagte ich an ihrer Statt noch einmal zu mir selber. Ich war in ausgezeichneter Laune. Planton war vor der Trib¸ne stehengeblie- ben und verneigte sich. )ie Kapelle schrie. Der Pr"sident, B¸rgerme'ster und Stadtober- haupt von Arles, in seinem schwarzen ge- schlossenen Rock und dem steifen Kragen schwitzend, warf den Schl¸ssel des Zwingers herunter. Es war ein groþer, zum Scherz aus Holz ges"gter und mit Silberbronze be- malter Schl¸ssel, der Planton bis an die H¸ften reichte. ,Ha! Ha! Der Schl¸ssel ... die Wetterfahne!" riefen die Zuschauer. Der Stier trat gem"chlich heraus. Der Ausdruck seiner vor Staunen aufgeris- senen Augen ¸ber dem gehobenen Maul wirkte so dumm, daþ alle sofort zu kichern begannen. Die Spitzen seiner H–rner waren durch zwei runde Schutzkappen aus Gummi von der Gr–þe einer Menschenfaust bedeckt - immerhin, es muþte sp¸rbar sein, einen Stoþ mit diesem Boxhandschuh gegen den Leib zu erhalten. .Hast du nicht ausgeschlafen, du Gras- h¸pfer?" Ein flotter Reiseomnibus trug an einem sitz- zungsfreien Tag eine Schar heiterer Fran- zosen, Engl"nder, Amerikaner und Deut- scher in den flandrischen Fr¸hlingsmorgen. Daþ sich der Reisef¸hrer vor allem einer schar- manten Franz–sin widmete, wair ritterlich von ihm, auszeichnend f¸r sie und - wohl- tuend f¸r uns. Die Engl"nder glaubten ohne- hin, daþ er deutsch spreche, wenn er in ,Englisch' seine Erkl"rungen gab. Und die Deutschen wunderten sich dar¸ber, daþ sie vonZeit zu Zeit auch ein Wort verstanden- bis sie merkten, daþ das ¸berhaupt Deutsch sein sollte, was er ihnen gelegentlich zu- jief. Die temperamentvollen groþen Gesten ersetzten nicht ganz die M"ngel des sprach- lichen Ausdrucks. Ich sprechen six Taalen, "h . . . Sprachen, sechs languages." So f¸hrte er sich ein. - M–ge dir dein sch–ner Glau- be erhalten blei- ben, guter Freund! Antwerpen war das erste Reiseziel. Die Kathedrale ist ein Schatzhaus der flan- drischen Kunst. Vor den wertvollsten Gem"lden, welt- ber¸hmten Farben- symphonien von .Los! Besinne dich! ... suchst wohl die Mut- terkuh?" Jean, Henri und Jules nahmen ihre Stellung ein. Als Gast des Vereins nZum mutigen L–wen' genoþ ich das Vorrecht, in der Arena gleich hinter der h–lzernen tUmz"ununq zu stehen. Jetzt begann Jean mit erhobenem Rock und gezierten Schritten wie ein T"nzer auf den Stier zuzuschreiten; das Tier r¸hrte sich nicht. Jean hielt ihm die rote Blase dicht vor die Augen, es schnupperte, brachte die Zunge heraus und begann an der Blase zu lecken. "Schmeckt's?' rief Jean. "Denkst wohl, das ist K"se!" Statt einer Antwort hob der Stier seinen Schwanz und lieþ eine gr¸nliche dunkle Peter Rubens, werden die Vorh"nge nur weg- gezogen, wenn die Besucher einen Sonder- obolus entrichten. So bringt das Genie noch Jahrhunderte nach seinem Tode das Taschengeld f¸r viele K¸stergenerationen ein. Durch den vier Kilometer langen Schelde- tunnel f¸hrte die Fahrt in die Provinz Ost- flandern ¸ber das weite, unter dem Meeres- spiegel liegende, der Natur m¸hsam ab- gerungene Land nach Gent. Wenigstens ein- mal im Leben m¸sse man Gent gesehen haben, meinen die Menschen in Flandern, denn in Westeuropa gebe es keine zweite Stadt, die ihren Besuchern so einpr"gsam Geschichte lehren k–nne wie sie. Die wuch- tigen Bauten aus der Feudalzeit stehen unversehrt neben den Zeugen der Macht der alten Stadtgemeinde und neben den Denk- m"lern des Reichtums und des weltoffenen Denkens vieler B¸rgergeschlechter. Auch hier wieder birgt die Kathedrale eine groþe Zahl kostbarster Erinnerungen an die Stern- stunden der niederl"ndischen Kunst und besonders an zwei groþe S–hne der Stadt, die Gebr¸der van Eyck. Gerade in dieser Kathedrale kommt es dem Deutschen, der n–rdlich des Mains zu Hause ist, so recht zum Bewuþtsein, daþ Flanderns helles Licht ungehindert durch alle Kirchen flieþt und daþ der Farbenjubel der flandrischen Malerei mit sch–ner Selbstverst"ndlichkeit auch in den Gottesh"usern zugelassen ist. Unsere stehend, mehrmals ¸ber seinen H–rnern. Die Zuschauer hinter der Umz"unung waren w"hrend des Spiels in die Arena gestiegen, auch ich folgte ihnen und bildete mit den anderen einen dichten Kreis um den Stier. Aus den obersten R"ngen t–nte ein Pfiff. ,Betrug! Fort mit dem Kastraten!' Die Arena begann zu toben. Der Pr"sident hob die Hand, und gleich darauf st¸rzte der n"chste aus dem Zwinger. Er lief, ohne an- zuhalten, bis fast in die Mitte des Platzes und stieþ ein heiseres Br¸llen aus. Ein m"chtiger breiter Kerl, aus den Wiesen der Camargue, mit schwarzem Kopf, mit einem hellgrauen Hinterteil und einer Schwanz- quaste wie ein L–we. Im selben Augenblick ist die ganze Arena von Zuschauern leer- gefegt. FAHRT DURCI Kirchenmaler haben leider mit vielen dun- keln Farbt–nen gearbeitet. Es ist schade darum. Wo der Anteil griesgr"miger Sauer- t–pfe an der Menschenmischung, die ein Volk ausmacht, nicht sehr groþ ist, liegt viel leuchtendes Rot und Blau auf den Paletten der Maler. Und so war es - und so ist es - in Flandern; wie ¸berhaupt Flandern im Leben seiner Menschen f¸r die Mucker aller Nationen eine F¸lle von Beweisen daf¸r bereith"lt, daþ sich Kirchenfr–mmigkeit in sympathischer Weise mit sprudelnder Le- bensfreude verbinden l"þt. Dann f¸hrte die Fahrt nach Br¸gge. Inner- halb seiner W"lle scheint die Zeit seit ein paar Jahrhunderten nicht weitergeschritten zu sein. Zwar demonstriert die Geschichte der Stadt das Schicksal alles Verg"nglichen in einer besonders eindrucksvollen Weise, denn Br¸g- ge war im 14. Jahrhundert einer der bedeu- tendsten Han- dels- und Um- schlagpl"tze "i.
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