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Aufwärts
Jahrgang 4, Nr. 4 (February 24, 1951)
Ha.
Der Schatten, p. 14
Page 14
DER SCHATTEN Der groþe Automobilpreis von Monaco wird in Monte Carlo ausgefahren. Man schreibt das Jahr 1933. Zwei Fahrer, zugleich Freunde, im scharfen Training auf der kurzen kurven- reichen Strecke. Louis Chiron und Rudolf Caracciola. Chiron direkt hinter Caracciola. Unerm¸dlich legen sie Runde um Runde zu- r¸ck. Pl–tzlich sieht Caracciola, daþ Chiron nicht mehr hinter ihm ist, er will sein scharfes Tempo langsam m"þigen. - Die Bremse faþt nicht - eine scharfe Kurve r¸ckt n"her. Caracciola versucht, durch die G"nge die Geschwindigkeit zu mindern. - Vergebens! Mit 100 Kilometer Geschwindigkeit geht er in die Kurve. Auf der einen Seite der Ab- grund zum Meer, auf der anderen eine hoch aufragende Mauer. Auf diese l"þt der Fahrer seinen Wagen prallen. Dann ein Krankenhaus. Caracciola wird von Schmerzen gepeinigt. Eine schwere Beinver- letzung hat er davongetragen. Das Bein wird in Gips gelegt, nachdem er ablehnt, sich einer Operation zu unterziehen, die eine K¸rzung des Beines zur Folge gehabt h"tte. Sechs Monate liegt das Bein in Gips. Sechs Monate qualvolle Gedanken, ob er je wieder einen Rennwagen fahren kann, ob das Bein wieder mittut, ob er je wieder den Zauber der Geschwindigkeit zu versp¸ren bekommt. An langen Tagen und doppelt langen N"ch- ten sieht er die Rennbahnen Europas vor seinem Auge. Sieht er seine Kameraden ¸ber die Strecken jagen, auf der Avus, auf dem N¸rburgring, beim Groþen Preis von Frank- reich, Belgien, Tripolis, Spanien, der Schweiz und bei den vielen anderen Rennen. Und er ist nicht dabei. Nach sechs Monaten f"llt der Gips. Auf Kr¸cken versucht er zu gehen - aber es geht nicht. Das Bein tr"gt noch nicht. Wieder spricht man von operieren, es sei das beste, er werde doch wohl nie wieder Rennen bestreiten k–nnen. Diese Mitteilung raubt ihm fast die letzte Willenskraft. Das w"re wie ein Ende, wie ein Leben ohne Sinn und Inhalt. Operieren kam nicht in Frage. Erneut wurde das Bein in Gips gelegt. Einige Wochen sp"ter humpelte der Rennfahrer Caracciola an zwei St–cken aus dem Krankenhaus, nach- dem das Bein ¸ber sieben Monate in Gips gelegen hatte. Nach Monaten erh"lt er von Mercedes einen Vertrag, um vieles bescheidener als vor dem Unfall. Aber er will seine Chance haben. Caracciola f"hrt wieder. Am Stock humpelt er zu seinem Rennwagen. Das rechte Bein schleift er nach. Der Groþe Preis von Deutsch- land ist sein erstes Rennen. An der Spitze liegend, muþ er nach der H"lfte der Strecke das Rennen aufgeben. Der Motor machte nicht mehr mit, und - das Bein schmerzte. Dann fuhr er das Klausenpaþ-Bergrennen, siegte und fuhr neuen Rekord. Das n"chste Rennen war der Groþe Preis von Italien in Monza. Dieses Rennen ist qualvoll. Das Bein bereitet uns"gliche Schmerzen. H–llische Qualen peinigen den Fahrer Caracciola. Nach Aufbietung seiner letzten Kraft und des ganzen Willens hat er nach sechzig Runden die Spitze erk"mpft, dann ist er am Ende der menschlichen Kraft, er f"hrt an die Box und l"þt sich von Fagioli abl–sen, der auch den Sieg erringt. Caracciola ist verzweifelt. Das Bein hat nicht durchgehalten. Der Gedanke, nicht durch- gehalten zu haben, ist schmerzvoller als der k–rperliche Schmerz. Soll er nie mehr ein groþes Rennen durchhalten k–nnen, soll er nie mehr als Sieger ¸ber das Zielband gehen? Ist das - das Ende? Ja, es ist das Ende, wenn das Bein im n"chsten Rennen wieder versagt. Und dieses vielleicht letzte Rennen war der Groþe Preis von Tripolis. Caracciolas Ge- danken waren sein Bein. Diese Gedanken waren wie ein ewiger Schatten. Rennleiter, Kameraden und Fachleute rechneten Carac- ciola nicht mehr zur ersten Garnitur. Er war nicht mehr das - As. Langsam schrieb man ihn ab. Eines Tages ist man dann unter- getaucht und bald - vergessen. Die Fahne senkt sich. Die Motoren donnern, die Wagen jagen nach vorn, in den Kampf um den Groþen Preis von Tripolis. Caracciola ist direkt nach vorne geschossen und liegt an der Spitze. Sechs Runden bleibt er vorn, dann verliert er einen Protektor, Stuck und Fagioli ziehen vorbei. Kostbarer Boden geht verloren. In der achten Runde geht wieder- um ein Protektor verloren. Varzi ¸berrundet Caracciola. Das ist fast aussichtslos. In der zw–lften Runde geht Fagioli an die Spitze, da Varzi wegen eines Defektes an die Box muþ. Aller guten' Dinge sind drei, in der sechzehnten Runde hat Caracciola erneut Reifenschaden. Als er wieder ins Rennen f"hrt, liegt er vier Minuten hinter der Spitze. Doch er f"hrt so, daþ er in der siebenund- zwanzigsten Runde den Abstand zur Spitze auf 1 Minute 45 Sekunden vermindern kann. Er f¸hlt den Rausch der Geschwindigkeit, wie er jede Runde um Sekunden schneller f"hrt als der vorne liegende Im Vollgef¸hl seiner Kraft steigert Carac- ciola das Tempo, und in jeder Runde ver- bessert er seinen R¸ckstand. In der dreiþig- sten Runde sind es nur noch 42 Sekunden, und gleichm"þig singt die Maschine ihr don- nerndes Lied. Doch gleichzeitig arbeitet sich ein roter Wagen nach vorne. Der alte K"mpe Nuvo- lari auf Alfa, der das Letzte aus seinem Wagen herausholt. Caracciola l"þt ihn ohne Gegenwehr vorbeiziehen, denn der rote Wagen kann seinem Mercedes nicht gef"hr- lich werden, doch Nuvolari wird Varzi einen erbitterten Kampf um die Spitze liefern. Und so ist es! Mutig und verbissen greift Nuvolari Varzi an und will an die Spitze. Fast drei Runden rasen sie dicht hinter- oder nebeneinander um die Bahn. Doch ver- gebens, Nuvolari schafft es nicht, immer wieder wird er abgeschlagen. Ein Schade zwingt ihn, an die Box zu fahren, er hat seine Maschine ¸beranstrengt. Durch die wilde Jagd hat sich Caracciolas Abstand zu Varzi wieder vergr–þert. In der f¸nfunddreiþigsten Runde betr"gt er genau eine Minute. Und nun steigert Caracciola sein Tempo. Der Motor muþ hergeben, was in ihm steckt. Er f"hrt furios, er hat den Willen, Varzi zu holen. Er ist von dem Willen beherrscht, den Schatten, den ewigen Gedanken an das Bein, zu bannen. Sein K–rper wird zu einem St¸ck der Maschine. Dann kommt der Augenbick, wo er den wei- þen Wagen Varzis vor sich sieht, wo er Meter um Meter gewinnt, wo die Entfer- nung immer geringer wird. Noch 500 Meter, 400, 300, 200, 100 und der groþe Augenblick in der achtunddreiþigsten Runde, daþ er Varzi ¸berholt, und wie nun der weiþe Auto-Union-Wagen hinter ihm klebt, ihn treibt. Wie Varzi kein Meter mehr ab- gibt und das Tempo h"lt. Die Zeichen von der Box k–nnen keine Zeitdifferenz angeben, so dicht liegen sie hintereinander. Die letzte, die vierzigste Runde. Elegant, gekonnt, jeden Zoll Boden berechnend in die Kurven, hinein in die Gerade. Wenn der Wagen und die Reifen halten, dem Siege zu. Und es wird Sieg. Das fast Unglaubhafte. Man reiþt Caracciola aus dem Wagen, und auf den Schultern tr"gt man ihn zur Box. Der Mann, dem man als Rennfahrer keine Chance mehr gab, hatte einen einzigartigen Sieg herausgefahren. Er selbst f¸hlte, er war wieder gleichwertig. Er war wieder dabei. In diesem Jahre gewann er sieben groþe Rennen in Europa. Wurde Deutscher und Europa-Meister. Ha.
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