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Aufwärts
Jahrgang 3, Nr. 4 (February 25, 1950)
Büsing, Georg
Kurz vor Feierabend, p. 10
Page 10
GEORG BOSING a * m: -: 7 Er hat kein Herz, der Pfandleiher, sagten seine Kunden. Er gab nur wenig, und wenn ein Pfandschein verl"ngert werden muþte, machte er Schwierigkeiten. Man sollte ihn totschlagen, hieþ es manchmal. Pfandleiher Guhl lachte nie. Nur hilflos konnte er sein, wenn die junge Renate kam. Die Achtzehn- j"hrige aus der Nachbarschaft, deren Vater immer Geld brauchte. Sie kam stets kurz vor Feierabend, fast jeden Freitag, und wenn alle Kunden weg waren. Und jedesmal sch"mte sie sich und sah nicht auf und sprach ganz leise. Guhl zitterten die H"nde, wenn er ihr Geld gab. Und stand horchend da, bis ihr Schritt im Treppenhaus erlosch. Da war einmal eine gewesen. So vor f¸nfzig Jahren. So wie die Renate. So still und so bescheiden und so arm. Aber man ging vor- bei. Geld verdienen war wichtiger. Und nun hatte man Geld. Aber der Raum war stau- big, und es standen keine Geranien auf dem Fensterbrett. Bei ihr hatten damals Gera- nien gebl¸ht, und Guhl flimmerte es vor den Augen, wenn er an die roten Bl¸ten dachte. F¸nfzig Jahre lang hatte er sich um keine Blumen gek¸mmert. Nur um Pfand- scheine. Und in der Brust pochte etwas, ganz schnell. Robby war zwanzig Jahre alt und in Re- nate verliebt. Sein Gesicht war lustig an- zuschauen, und sein Mundwerk wuþte im- mer etwas. Aber er hatte wenig Neigung zu einer geregelten T"tigkeit. Mal hier, mal dort, und wenn es ihm nicht mehr paþte, blieb er weg. Er m¸sse sich "ndern, sagte Renate. Robby lachte zu solchen Mahnungen. Es fehlte ihm nie an tausend Pl"nen f¸r einen pl–tzlichen Reichtum, und irgendwie hatte er immer ein wenig Geld in der Tasche. Es langte immer zu ein paar Pra- linen f¸r Renate, zu einem Tanzabend in der ,Harmonie'. Man konnte ihm nicht b–se sein, dem Robby. Zu Hause war es schon traurig genug. Nicht mal ein rechtes Kleid h"tte Renate besessen, wenn Robby nicht vor vierzehn Tagen gl¸ckstrahlend und heimlich damit angekommen w"re. Das Herz hatte ihr wie toll geklopft, durfte man so was annehmen? Sie hatte gez–gert, und da war er beleidigt gewesen, und wollte weg- laufen wie ein trotziger Junge. Und da hatte Renate alles Fragen gelassen. Und der Sonntag war sch–ner geworden wie keiner vorher. Erst sp"t in der Nacht kamen sie heim. Und Robby hatte sie gek¸þt. Sonderbar heftig hatte er sie gek¸þt. Sie mochte nachher in ihrem Zimmer kein Licht Zeichnungen: Josef Herff anknipsen und konnte lange nicht einschla- fen. Und sehr fr¸h wachte sie wieder auf. Das neue Kleid lag ¸ber dem Stuhl. Sie strich mit der Hand dar¸ber hin und hatte pl–tzlich Angst. Robby gatr gestern viel Geld aus. Er habe es beim Fuþballtoto ge- wonnen, das sagte er einmal nebenbei. Ja, nur so nebenbei. Und das war merkw¸rdig. Renate zog die Hand von dem Kleid zur¸ck. Hatte er etwas genommen bei dem alten Professor, dem er augenblicklich beim Ord- nen seiner Sammlungen half? Renate zitterte den ganzen Tag. Sie sagte es Robby, als sie ihn abends traf. Er lachte laut. Nein, es stimme alles! Er bek"me Tips von einem Mittelst¸rmer. Beim n"chstenmal w¸rde er einen ganz groþen Schlag machen. Und Renate glaubte ihm zuletzt. Der Abend war so still. Von der Parkwiese duftete das Heu. Renate war achtzehn Jahre alt, und zu Hause war alles so grau. Eine Sternschnuppe fiel. Mitten in die Wiese hinein, mitten in das Heu, und Renate muþte die Augen schlie- þen, weil der ganze Himmel pl–tzlich flimmerte. Robby betrank sich in dieser Nacht. Nie vorher hatte er das getan. Der alte Profes- sor sah ihn forschend an, asls er zum Dienst kam, und sagte nur, daþ Robby am Sonn- abend wiederkommen m–ge. Da m¸sse die Uhrensammlung f¸r eine Ausstellung ver- packt werden. 76 seien es im ganzen, laut Katalog. 76, nicht wahr? Und Robby nickte sehr schnell und lief hinaus. Am Sonnabend also, rief der Professor ihm noch einmal nach. Robby st¸rmte in sein Zimmer und schloþ die T¸r hinter sich ab. Er riþ die Ma- tratze hoch, da lag er, der Schein. Pfand- schein Nr. 08 742, eine goldene Deckeluhr, vierzig Mark. Robby spie ihn an, den Schein. Der Mittelst¸rmer hatte ihm in die Hand versprochen, daþ alle Tips todsicher w"ren. Man h"tte Tausende gewonnen und diese verfluchte Geschichte spielend in Ordnung gebracht. Aber alle Tips platzten. Und Re- nate ahnte die Geschichte. Diese Weiber! Er wollte sie nicht mehr wiedersehen, nie mehr! Er hatte es doch gut mit ihr gemeint. Der Profesigor war viel anst"ndiger, eine vor- nehme Art, einem vier Tage Zeit zu geben. Man w¸rde die Geschichte regeln. Man hatte Quellen, wo rasch etwas zu verdienen war, und ein paar Freunde, die freitags Lohn bekamen. Bei Renate war sowieso nichts zu holen. Die lieþ sich beschenken und meckerte dann hinterher. Man sollte nur Frauen mit Geld heiraten. Nur! Robby schritt groþspurig im Zimmer auf und ab. Klar, daþ die Sache geregelt wurde. Er w¸rde dem Professor die Wahrheit sagen. die Uhr zur¸ckgeben, und der Alte w¸rde lachen. Wenn er Renate die Wahrheit ge- st"nde, w¸rde sie heulen. Die vier Tage liefen wie Hasen auf der Flucht. Die guten Quellen versagten zum gr–þten Teil, die guten Freunde alle. Renate hatte ihm einen Zettel hinlegen lassen, er riþ ihn entzwei. In der Nacht zum Freitag lag er auf der Wiese und starrte b–se in die Sterne. Das Heu war eingefahren worden. Wolken zogen auf und verfinsterten die Nacht. Ganze 15 Mark hatte Robby zusam- men. Die Aussichten f¸r morgen waren d¸- ster. Und mit dem geizigen Pfandleiher war nicht zu handeln. Der w¸rde auf den Schein pochen mit seinen kn–chernen Fingern. Die Nacht wurde kalt. Robby fror und ballte die F"uste. Man m¸þte ihm ein wenig Angst einjagen, dem alten Sack. Nur ein klein wenig, das war alles. Freitag, kurz vor Feierabend. Robby trat ein, er hatte sich Mut angetrunken. Der Raum war leer, der Pfandleiher kam an den Tresen. Robby gab ihm den Schein, er wolle ihn einl–sen. Der Alte holte die Uhr aus dem Tresor. Er behielt sie in der Hand und forderte die Zahlung. Robby legte seine 15 Mark hin, Guhl sch¸ttelte unwillig den Kopf. In Robby wirbelte nun alles durch- einander. Er griff nach der Uhr, aber der Alte hielt sie fest. Robby hob die linke Faust, um etwas nachzuhelfen. In diesem Augenblick –ffnete sich die T¸r. Renate trat ein. Es war Freitag. Der Vater brauchte Geld. Als sie Robby sah, wuþte sie alles. Aber sie sagte kein Wort. Sie zitterte nur ein wenig. Robby lieþ den Pfandleiher los, eine tiefe Scham ¸ber seine Dummheit stieg ihm ins Gesicht. Die Uhr fiel auf den Tresen. Re- nate nahm Robbys Hand fest in die ihre. Sie l"chelte dabei und sah den Pfandleiher an. Zum erstenmal sah sie ihn voll an, und der alte Guhl senkte langsam seinen Kopf und starrte auf die Uhr. Das Glas war zer- splittert, der Zeiger stand. Nur das Ticken einer Rokokouhr war im Raum. Guhl h–rte es, und es schien ihm, als wenn das Ticken immer lauter w¸rde. Er hob langsam die welke Hand, nahm die goldene Deckeluhr ohne Glas und reichte sie Renate. Dann drehte er sich m¸de um und lieþ die beiden gehen. Er hatte doch ein Herz, der Pfand- leiher. Georg B¸sing V17ie ,,eeie 1 Ge11 Die Welt ertragen, das ist feige, die Welt vollenden, das ist Mut; denn jedem liegt sie tief im Blut, wer sie nicht f¸hlen kann, der schweige! Die neue Welt tr"gt dein Gesicht. Vergiþ nicht, ihr das aufzupr"gen, denn unter deinen Hammnerschldgen machst du zu deinem Recht die Pflicht! Hermann Josef M¸ller.
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