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Aufwärts
Jahrgang 2, Nr. 21 (October 8, 1949)
Bloemertz, Günther
Gatow im Nebel, pp. 10-11
Page 10
GUNTHER BLOEMERTZ i f ª% Ÿ A *V un Udd -er ",- - - Johnny Conlay fluchte: U-ber ihm strahlte die Sonne aus dem blauen Himmel, unter ihm zogen die pr"chtigen, satten Farben der Wiesen, Fl¸sse und W"lder dahin, und nun sollte Gatow pl–tzlich im dicksten Boden- nebel liegen! - Kopfsch¸ttelnd reichte er seinem Funker den Wetterspruch mit dem Landeverbot zur¸ck. ãWir wollen sehen!', rief er dann in den L"rm der vier Motoren, setzte sich wieder zurecht und behielt den alten Kurs bei, als sei es selbstverst"ndlich, einen R¸ckflug- befehl zu ignorieren. Nur, daþ Johnny, der erfahrene Hase, mit einmal seinen Gummi schneller kaute, konnte das Besondere dieser Situation andeuten. Dem zweiten Piloten auf dem rechten Sitz schien die Sache Spaþ zu machen; es war sein dreiundvierzigster Flug ¸ber die Luft- br¸cke, aber selbst mit Radarpeilung hatte er noch keine Blindlandung im Nebel erlebt. Auch Johnny konnte sich nicht recht vor- stellen, wie er die schwere Lancaster unge- schoren auf den schmalen Landestreifen setzen sollte. Doch er vertraute seiner jahre- langen Bekanntschaft mit der Lancaster, da er Bomben ãgefahren' hatte, Nacht f¸r Nacht. durch Nebel, Gewitterst¸rme und Flakhagel. Er glaubte an sein fliegerisches Gef¸hl, das besser als alle Instrumente maþ. Und heute mochte er zudem eine besondere Aufgabe zu erf¸llen haben: denn hinter ihm, in dem langen, metallenen Bauch, *hatte man auch eine ãEiserne Lunge' verstaut, eine unf–rm- lich groþe ãBackr–hre'; es hieþ, er k–nne einem kleinen Jungen das Leben retten, br"chte er sie heil und rechtzeitig nach Berlin. Ja, das hatte sich Johnny gut ge- merkt; so etwas gefiel ihm. Zur Linken und Rechten r¸ckten die Bahn- linien n"her, zwischen ihnen das Bild, das Johnny so gut kannte: R–tlicher Sand, ab- ,gestellte Lokomotiven, Werkst"tten, Wasser- t¸rme- eben die Einflugschneise, die mit den zusammenlaufenden Schienenstr"ngen spitzer und spitzer wurde, um schlieþlich nach Spandau und in das Herz der Millionen- stadt einzum¸nden. Johnny drosselte die Motoren. Den Zeigern zahlloser Instrumente gab es einen Ruck. Der H–henmesser stand knapp ¸ber der 400- Meter-Marke. ãDahinten liegt -schon der Dreck!', rief der zweite Pilot. Johnny nickte nur. Bereits in den Straþen von Spandau hatte sich der feuchtkalte Nebel eingenistet, und von der Havel her lagerten seine dichten, wattigen Matten ¸ber den Tr¸mmern der ganzen Stadt. Nur hier und da ragte ein Kirchturm, ein Funkmast oder die Kuppel eines groþen Bauwerks aus der ãMilchsuppe'. Johnny sah ¸ber das weiþe Meer und be- dachte, daþ irgendwo da unter der Nebel- decke ein Krankenhaus war, darinnen das Bett mit jenem kleinen Jungen, dessen Eltern ihn erwarteten, auf ihn, den Johnny Conlay' und die ãEiserne Lunge' hofften. Dann aber stieþ er seinen Kollegen am zweiten Steuer an und deutete l"chelnd unter sich auf die zusammenlaufenden Eisenbahn- linien: " 5 ãAufpassen! Wir m¸ssen jetzt die richtige Weiche nach Gatow erwischen.' W"hrend die ¸brigen Flugzeuge der Luft- br¸cke schon halben Wegs umgekehrt und nach Hause geflogen waren, zog Johnny gerade ¸ber dem Spandauer Rathausturm, von dem allein die Spitze ¸ber den milchi- gen Dunst herausragte, seine Maschine in eine scharfe, steile Rechtskurve. - 360 Stun- jUei" j3nuler war ejis ijlieger Mein Bruder war ein Flieger. Eines Tages bekam er eine Karg'. Er hat seine Kiste ein gepackt, Und s¸dw"rts ging die Fahrt. Mein Bruder ist ein Eroberer, Unserm Volke fehlt's an Raum, Und Grund und Boden zu kriegen ist Bc:, uns ein alter Traum. Der Raum, den mein Bruder eroberte, Liegt Im Quadaramamassiv. Er ist lang einen Meter achtzig Und einen Meter f¸nfzig tiel. Bert Brecht denkilometer zeigte der Geschwindigkeits- me-sser an; in einer Minute war Gatow er- reicht. Unter der dicken, weiþen Matte mochten bereits die beiden Landebahnen liegen, die an ihren Enden im rechten Winkel zusam- menstieþen. Von Nord nach S¸d - das wuþte Johnny -- war die l"ngste Bahn. Wie aber sollte er blindlings den engen Streifen ansteuern!? Zu allem Ubel meldete der Fun- ker, daþ die Radarstation am Bode'n nicht arbeite, da ohnehin kein Flugzeug landen durfte. -- Johnny z–gerte einen Augenblick.. Doch als er zur Linken die Spitze jenes hohen Turmes erkannte, der dicht ¸ber dem jenseitigen Havelufer stehen muþte und den die Germans wohl Bismarck- oder Kaiser- Wilhelm-Turm nannten, lieþ er sich die Karte gr–þten Maþstabs reichen, ¸bergab er das Steuer dem anderen und begann zu rechnen. Kaum drei Minuten hatte die Maschine zwi- schen Potsdam und Spandau, dem Wannsee und Gatow gekreuzt, da heftete Johnny folgenden Zettel vor sich an das Arma- turenbrett: H–he: 90 m, Kurs: 2600, Geschwindigkeit: 200 km/h, Sinken: 2 m/sec., Dauer: 45 sec. Dessen war sich Johnny nun sicher, daþ er mit diesen Zahlen von der Spitze des Turmes aus zweieinhalb Kilometer blind durch den Nebel fliegen muþte, bis die R"der seiner Maschine genau dort den Boden ber¸hrten, wo die Landebahn begann. ãEs bleibt nichts anderes ¸brig!', rief er endlich und ¸ber- nahm wieder das Steuer. ãWir m¸ssen die kleine Landeseite anfliegen, von Osten her.' Als er Jedoch die skeptischen Blicke seiner Kameraden sah, fuhr er fort: ãIhr k–nnt ab- springen -- aber ich, ich lande.' Da grinsten die anderen und sch¸ttelten den Kopf. Also befahl jetzt Johnny. ãAnschnallgurte fest- zurren!' --Und er ãberuhigte': ãWenn der Bruch noch in Platzn"he liegt, ist der Anflug mit ªgut´ zu bewerten.' Inzwischen liefen die Motoren nur noch auf Halbgas. Johnny hatte weit nach Osten aus- geholt, war bereits eingekurvt und schwebte nun an. ãFahrwerk 'raus! - Landeklappen! Trim- mung schwanzlastig!' Gerade ¸ber der Turm- spitze tippte er auf die Stoppuhr, Kompaþ, Variometer, Fahrtmesser und die Feinh–hen- skala zeigten jene Zahlen, die er errech- net hatte. Dicht unter dem Flugzeug r¸ckte die Nebel- decke heran; sie war so scharf begrenzt, daþ man sie mit dem Messer h"tte zerschneiden m–gen. ãAlle Mann auf Tauchstation!', lachte Con- lay. ãDie alte Lancaster <>f"hrt´ gem¸tlich wie ein M–belwagen.' Doch insgeheim dachte jeder, daþ es peinlich sein k–nne, im 200-Kilometer-Tempo mit einem solchen M–belwagen irgendwo an- zustoþen. Dann versank alles in der ãWaschk¸che', der Dunst verschleierte selbst die Spitzen der Tragfl"chen. 40 Sekunden noch: eine Ewigkeit, wenn man in jedem Augenblick an einen Aufprall denken muþte.- Der Zeiger des H–henmessers sank stetig der Nullmarke zu. Ruhig lag das Flugzeug im k¸nstlichen Horizont. JIohnnys Augen bewachten mit aller Kon- zentration die Instrumente. Seine H"nde Hielten fast z"rtlich das Steuer. Und zwischen allem zog in seinen Gedanken das Bild der breiten Havel unter ihm vorbei, das unsicht- bare Bild des Tannenw"ldchens mit der Straþe, der kleinen Schonung und den leich- ten Buckeln am Platzrand. Hoffentlich bleiben wir da nicht h"ngen, fuhr es ihm durch den Kopf; denn er allein trug die Verantwortung. - Und er dachte an jenes Haus, das hinter der Westkante des Landeplatzes stand. Die Maschine durfte nicht zu weit kommen. Nur er, Johnny Con- lay, haftete daf¸r. Dann aber blickte er von den Instrumenten auf in die undurchsichtigen Nebelschwaden, die er zerpfl¸gte. Nur noch 30 Meter H–he! Jetzt nutzten auch die genauesten Berech- nungen nichts mehr. Johnny schaltete sein fliegerisches Gef¸hl, den Instinkt eines alten Hasen, ein: Fast unmerklich nahm er die Steuers"ule an, das Flugzeug sank lang- samer. F¸r den Bruchteil einer Sekunde huschten die Gato'wer Hallen mit der Flugleitung an der linken Tragfl"che vorbei. Johnny riþ das ,Gas heraus, stellte seine Maschine schr"g
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