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Becher, Johannes Robert, 1891-1958. / Wir, Volk der Deutschen; Rede auf der 1. Bundeskonferenz des Kulturbundes zur Demokratischen Erneuerung Deutschlands (21 Mai 1947)
(1947)
IV. Von Deutschlands Jugend, pp. 43-50
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anmoldet, die uns lohnender und vielversprechender er- scheint als das Alte. Jeder wiirde das politische Phanomen, das uns, heute die Jugend zu entratseln aufgibt, auf das Menschliche bezogen, verstehen. Jeder wurde verstehen, dag ein Mensch, der einen anderen jahrelang geliebt und ihm ver- traut hat und dem zuliebe er einen Teil seines Lebens geopfert hat - es war ja seine erste grofle Jugendliebe -, jeder wiirde verstehen, dafl ein solcher Mensch, wenn er einsehen mufl, daf3 der andere ihn betrogefi hat - und lange will er das nicht einsehen, und jedes Selbstgefuhl wehrt sich dagegen ein jeder von uns wurde verstehen, dafl ein solcher in seiner ersten grogen Liebe enttauschter Mensch lange Zeit braucht, um wieder vertrauen und lieben zu k6nnen. Wir wissen von der Psychologie her, wie tief unser Leben im Unterbewultsein von Kindheits- erlebnissen beleindruckt wird - und es bedarf also vieler Miihe und viel des Guten, um die Erinnerungswunden der jungen Menschen heilen und vernarben zu lassen. In den groflen Tragbdien der Weltgeschichte siind nicht Jugendliche die eigentlich tragischen Helden. Mit tra- gischen Konflikten sich auseinanderzusetzen und fertig- zuwerden, wird von den Dichtern mei.st nur Mannern und Frauen aufgetragen. Das Schicksal der deutschen Jugend aber ist eine von Hunderttausienden deutscher junger Menschen durchlebte und erlittene Jugendtragodie, wie sie die Weltgeschichte nicht kennt. Es ist nicht ohne weiteres zu verlangen, daBl ein unerfahrener Mensch den tragischen Konflikt einsehen und ihn losen kann, der darin besteht, dafl er der schlechtesten Sache der Welt im guten Glauben und mit guten Kraften gedient hat. An diesem tragischen Konflikt sind lebenserfahrene und geistig hochstehende Manner und Frauen innerlich zer- brochen und zugrunde gegangen. Wenn wir es nicht ver- stehen, mit den der Jugend verstandlichen und sie an- sprechenden Mitteln sie aus diesem tragischen Konflikt herauszul6sen, dann sollen wir uns nicht wundern, dag 48
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