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Becher, Johannes Robert, 1891-1958. / Wir, Volk der Deutschen; Rede auf der 1. Bundeskonferenz des Kulturbundes zur Demokratischen Erneuerung Deutschlands (21 Mai 1947)
(1947)
III. Volk im Untergang?, pp. 34-43
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Was uns bei allen niederdriickenden Stimmungen, wie sie einer Niederlage eigen sind, ermutigen kann, ist die historische Tatsache, dag dem deutschen Volke grofge Moglichkeiten seit je gegeben waren und noch immer offenstehen, einen anderen Weg als jenen verhingnis- vollen einzuschlagen, den wir in den letzten Jahrzehnten uns haben fiihren lassen. Wahrend wir Volk der Deut- schen in einem schweren Erschbpfungszustand danieder- liegen, iSt noch diesle andere grofle, unausgeschbpfte deutsche Moglichkeit vorhanden, die uns so bedeutend erscheint, daf3 deren Verwirklichung uns. das Beste fUr die Zukunft unseres Volkes verheiflt. Diese andere grofle deutsche Moglichkeit, in ihrer ganzen Fulle und Vielfalt, ersqhdpft .sich keineswegs darin, wenn wir als Tradition, die wir zu wahren und fortzusetzen haben, nur auf die Bauernbewegung, nur auf die Bliutezeit des deutschen Klassizismus, nur auf die 48er Revolution und die Arbeiterbewegung uns be- rufen. Mir scheint es eine gewisse eigenwillige Verengung unserer Tradition zu sein und eine Selbstbeschrankung, die wir uns ganz unnotigerweise auferlegen, wenn wir uns nur auf dieses Erbe berufen. Zweifellos berufen wir uns dabei mit auf das Beste, was unser Volk geschaffen hat, aber wir durf en iiberzeugt sein, daf aus der Namen- losigkeit einer noch nicht geschriebenen deutschen Volks- und Kulturgeschichte einst noch unzahlige Namen und Taten emporsteigen werden, welche diese beste deutsche Tradition erganzen und unendlich bereichern. Es ist ja nicht so, daf der deutsche Arbeitsfleifl, der deutsche Er- findergeist, die deutsche Begabung auf allen Gebieten des Forschens, der Technik und der Wissenschaft ohne Wur- zeln in derVergangenheit w~iren, bis weit daruber hinaus, wo die ersten Buchdrucker am Werke waren, die Meister des Holzschnitts, des Kupferstichs und der Tuchwebe- kunst, und wo die ZUnfte und die Stadte und die Bau- hutten erstanden. Wir mussen uns nur erst so recht mit dem Gedanken vertraut machen und ihn zu Ende denken, daf3 Geschichte ganz und gar nicht in erster Linie eine 4I
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