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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Alfred Polgar, pp. 135-136
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Theodor Plievier, pp. 136-137
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Page 136
Grol3artig, was? Erschtltternd, wie? Der Herr Minister uibernahm die Verantwortung? Halt einen Augenblick! Wieviel Jahre Zuchthaus also, falls die Sache schiefgeht? Oder wie oft wunschen gehangt zu werden? Was wurde Exzellenz darauf antworten? ,,Ich iiberlasse das Urteil ruhig der Geschichte." Und in der Tat haben jederzeit die Verantwortlichen auch nur dann die Konsequenz aus ihrer tUbernahme der Verant~vortung ziehen mussen, wenn das Volk Geschichte gespielt hat. THEODOR PLIEVIER11 1892 In Berlin geboren, rllckte mit 16 spdter dramatisiert, Im Berliner Lessing- Jahren von Hause aus, vagatundierte thdater aufgeftihrt wurde. Auferdem ent- durch Europa- und fuhr dann zur See. stand der Roman: ,,Der Kaiser ging, die Den ersten Weltkrieg erlebte er auf Generale blieben". 1933 emigrierte er Schiffen der deutschen Kriegsflotte; 1918 nach Frankreich, emr Jahr spater nach war er Redakteur des Organs des Ma- RuBland. In der Emigration schrieb er trosenrates in Wilhelmshaven. Nah dem u. a. das Buch jrm letzten Winkel der Krieg als Publizist, Redner und btiter- Erde". Aus dem im Exil veroffentlichten, setzer tetig, schrieb Plievier den No- 1946 in Deutschland (im Aufbau-Verlag, vellenband .,,12 Mann und ein Kapit~n" Berlin) erschienenen, aufrUttelnden Buch und den Roman ,Des Ktisers Kuli", der, ,,STALINGRAD" bringen wir eine Probe: Keller voller Verwundeter, die niemals arztliche Hilfe erhalten hatten, zogen sich in straflenlangen Zeilen unter den Hauserruinen Stalingrads hin, und nicht nur die AuBenbezirke, auch der Stadtkern war von dieser Invasion blutenden Elends tiberschwemmt. tiber tausend Schwerver~vundete lagen in der ehemaligen Ortskominandantur Mitte, an tausend lagen in den Kelle- reien des Hauses der Roten Armee, an achthundert lagen im Theaterkeller; in den Gew6lben am ,,Platz der Gefallenen" lagen in dem einen dreihundert, in dem anderen an zweihundert, in dem nfchsten wieder an zweihundert. Die Schwerverwundeten kamen an dem einen Tag an, und am nachaten und am iibernachsten wurden sie als Leichen wieder hinausgetragen, doch es blieb immer die gleicheMenge, und das Rdcheln der Sterbenden hbrte nicht auf. Und zwischen den Verrochelnden und Sterbenden lagen die Sol- daten der kdrmpfenden Truppe. Am ,,Platz der Gefallenen" hatte das Ar- tillerieregimont 4 und hatten die letzten Panzerschtitzen und Panzerfahrer vom Panzerregiment 36 und hatte die 1. Infanteriedivision unter dem Kom- mando des Generals von Hartmann, welche nach Suiden die Front zur Zaristenschlucht einnshmen, und in anderen StraBenzugen hatten andere Regimenter oder Reste von Regimentern ihre Quartiere. Und im Timo- schenkokeller, im Theaterkeller und anderen Kellereien, die ohne Wirte waren, krochen Massen Versprengter und Marodierender unter; und tdglich und stuindlich waren Erfassungskommandos unterwegs, welche die Leute aufscheuchten und wieder nach vorn an die Kampflinie warfen. Das war die Agonie einer Armee. Und dieses R6cheln des Todes, die um sich greifende Geftihllosigkeit, das verlschende Bewumtsein, die fortschreitende Lahmung waren durchweht von den eisigen Nachten der bstlichen Steppe, waren ourchflackert von wflden Schneestilrmen, waren durchtost von den Detonationen der Raketen- geschosse. Die Arnree lIste sich auf, das Zentrum dieses groBen Organis-
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