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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Carl v. Ossietzky, pp. 130-131
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Jan Petersen, pp. 131-132
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finden. Ihr werdet finden, daB der Kaufmann X., ein belangloser Zeuge fir das Alibi des Hauptmanns Y., nach ein paar Jahren wieder als Zeuge in einer Bombenleger- oder Verschworersache auftaucht. Es geht eine Blut- linie durch die zwolf Jahre Republik. Die Gerichte haben sie niemals ernsthaft blodgelegt. Ein einziger konsequent zu Ende gefiuhrter Ehrhardt- oder Rolbachproze3 hatte uns den argsten Zauber der Hitlermacht er- spart... JAN PETERSEN Geboren 1906 In Berlin-Charlottenburg. Verbffentlichte Pereits vor 1933 Erzfhlun- gen und Gedichte gegen den Faschismus. Nach Hitlers Machtantritt Leiter der Widerstandsschriftstellergruppen in Ber- lin bis 1935 und unterirdiseher deutscher Redakteur fMr die Literaturzeitschrift ,,Neue deutsche Blitter", Prag. Auf dem WeltschriftstellerkongreB .,Zur Verteidi- gung der Kultur" in Paris Juni 1935, auf dem die bekanntesten Schriftsteller vieler Under und der deutschen Emigration gegen die Kulturbarbarei Nazideutsch- lands auftraten, war Jan Petersen der Delegierte und Sprecher des unterirdi- schen Deutschlands, direkt aus Berlin kommend. (Der Mann mit der schwarzen Brille.) Petersen lebte spater als Emi- gant in Frankreich, in der Schweiz und In England und veroffentlichte unter wechselnden Pseudonymen Antinazi-Erzkh- lungen in sieben Sprachen, ferner die BEicher .,Unsere Strade" (Roman) und ,,Deutschland unter der Oberflache" (Er- zdhlungen). Der englische Penclub wahlte Petersen als Mitglied. 1937 erlieB die Ge- stapo einen Steckbrief gegen ihn und ver- langte von der Schweiz seine Ausliefe- rung, 1938 wurde Petersen ausgebilrgert. Er kehrte aus der Emigration in seine Heimatstadt Berlin zurick. Der Roman ,,UNSERE STRASSE" wurde 1933/34 in Berlin geschrieben, und der Autor schmug- gelte das Manuskript, in zwei Ruchen eingebacken, fber die deutsche Grenze nach Prag. - Hier folgt ein Abschnitt aus dem vor einiger Zeit im Dietz Verlag, Berlin. erschienenen Buch Jan Petersens: ... Frau Preul3 sieht klein und zusammengefallen aus. Aus dem knochigen, gelblichen Gesicht sehen mich zwei unruhige Augen an. ,,Ich wollte zu Herrn PreuB3. Wegen der Schmetterlingssammlung.4 Es ist eine von PreuB' Wandervogelpassionen, die ich vorschiebe. Frau Preul trippelt auf dem schmalen Korridor vor mir her, schtebt mir Im Zinmner einen Stuhl mit klobigem Muschelaufsatz zu. Die ware aufgeregter, wenn sie schon ,,Besuch" hatte. Also noch In Ordnung! Ich war am Tage schon oft bei PreuB. Aber seine Mutter kennt mich nicht. Sie war dann immer auf ihrer Arbeitsstelle. Ich weiBl, wir sind in der ,,guten" Stube. tVber den Betten hangt ein Buntdruck im Goldrahmen:-,,Die Berg- predigt." In der rechten Zimmerecke ein grol~er Holzteller mit eingebrannten Buchstaben: ,,Siehe! Ich bin bet euch, alle Tage!" Ich setze mich umstandllch. PreuB3 hat mir oft von seinen standigen welt- anschaulichen Meinungsverschiedenheiten mit der Mutter erzahlt. ,,Sie stammt aus einer Pastorenfamilie, ist alt und nicht mehr umzukrempeln. loh lasse sie in Ruhe - bloB sie mich nicht", hat er gesagt. Ich weit auch, wie er darunter litt, daB er als junger Mensch ohne Arbeit war, wdhrend seine alte Mutter schwer arbeiten muB. Sie hat ihn mit vieler Milhe und Ent- behrung Werkzeugmaeher lernen lassen. Sein Vater ist im Krieg gefallen. Frau Preul3 rei~t mich aus meinen Gedanken. Sie steht vor mir, ringt die Hande.
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