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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
S. Friedlaender, pp. 48-49
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Hellmut von Gerlach, pp. 49-50
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Frau Direktor Boller ganz platt, ganz platt; Herrn Geheimrat Wersch; Herrn Omnibuskutscher Koppke; so nette Menschen zertrat vorsichtig der zarte Riese. Da weinte er. Wie Wolkenbrlche, aber salzig, sttirzten seine Tranen auf gute, liebe Menschennaturen. Die Kinderschule, ja die Kinder- schule kam ins Schwimmen, brach ein, sank. Der Riese weinte, MWtter schrien, Versicherungsgesellschaften starben. Der schmerzlich bewegte Riese warf sich zu Boden, aber die Erde bebte: London, Madrid, Zehlendorf und Nowawes fielen zusammen wie Kartenhauschen. Gut, gut meine ich es, be- teuerte der zarte, so zarte Riese, und seine reuige Stimme erzeugte einen solchen Luftdruck, dal3 achtzig junge und alte Kellner des Lunaparkes weg- geweht wurden wie Papierschnitzel. Der Riese stiel einen tiefen Seufzer aus seiner grameswunden Brust, es explodierte davon ein Krematorium nebst vier Friedh6fen, ein Hagel von Asche und Gebeinen wirbelte durch die Le- bendigen. Und es graute den Riesen vor sich selber, als er, von Witwen und Waisen umgraupelt, auf flachem Felde hingestreckt lag; unter ihm ein Gutshof mit einer Meierei, alles voll verr6chelnder Tiere und Menschen. Tdtet, o t6tet ihr kleinen, feinen Leute mich, den sanften Mbrder eures GlUcks, bat der Riese. Da hatte er gut bitten, sein Wimmern zerpuffte ein Wbchnerinnenheim, eine Grenadierkaserne, die nattirlich in der Nahe lag, einen regierenden Herrn, der mit herrlichem Auto daherbrauste, und ein paar alternde Madchen, die zum Postamt eilten. Aber, lachelte der Riese, und tiberirdische Wehmut brach aus seinem Blick - aber kann ich Sanfter, der Ich zu groB bin, viel zu grol3 bin, um der guten, dieser lieben, so kleinen, so niedlichen, munteren Leute willen mich nicht selber t6ten? Halleluja, lallte er ganz leise aus Furcht, jemanden zu verletzen; heureka, lachelte er bei sich, wohlan! Er nahm einen tollen Anlauf, sprang himmelhoch, voli- ftihrte in den Wolken einen Salto mortale und fuhr kopftiber so blitzlings mit dem Schadel auf die nachste Kirchturmspitze, daB seine Seele gar nicht ohne Salbung von hinnen ging. Der Turm schlug mit dem prachtvollen Gigantenleib zwei Stadtteile in Trdmmer; der Dichter Promethke starb bei dieser Gelegenheit. Und nun begann - nasus teneatis! - das Zeltalter der Verwesung, das noch bis auf die heutige Nacht fortdauert. - So kann wahre Sanftmut wirken wie h6llischste Teufelei - sollte sie von einem Riesen herruhren. HELLMUT VON GEBLACH Vor 1933 der unerschrockene Herausgeber sietzky tm Mat ' 1932 Ins GefAngnis ge- der ,Welt am Montag", ilberzeugter Anti- worfen wurde, tibergab er H. von Gerlach militarist und Kriegsgegner, schrieb die die Leitung der Weltbilhne. Der 1866 Ge- Bekenntnisschrift: ,Erinnerungen eines borene ist im August 1935 in Paris ge- Junkers", in der er seinen politischen stoiben, wo er seine Autobiographie ,,Von Entwicklungsgang vom Konservativen rechts nach links" niedergeschrieben hat. zum entschiedenen Verfechter pazifisti- - Aus den ,ERINNERUNGEN EINES scher Ideen darstellte. Als Carl v. Os- JUNKERS" hier ein kurzer Abschnitt: Die famose Dolchstofllegende beruht auf del FiUtion, die deutsche Revo- lution sei von irgendwelchen geheimnisvollen Verschw6rern planmalBig vor- bereitet worden. Als willkommene KCronzeugen fur die Legende werden von den Monarchisten der ehemalige Volksbeauftragte Emil Barth, ein gewisser Vater in Magdeburg und ahnlich unmnalgebliche Personen aufgeftihrt. Ich will die Ehrlichkeit dieser Kronzeugen nicht anzweifeln. Sie m6geni subjektiv davon tberzeugt sein, ihre gehelime Tatigkeit habe wesentlich zum
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