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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Ernst Bloch, pp. 24-25
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Willi Bredel, pp. 25-26
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erfreulich oder lelcht ertr.gllch ware. Ab-r das ist elne Sache, eine klelne Sache fur sich und ganz ohne Zusammenhang mit dem iibrigen Mahler, mit der ausschlaggebenden Mehrzahl der Mahlerschen Art. Man h6re nur die Kindertotenlieder, den letzten Gesang aus dem Lied von der Erde, die zweite, dritte, siebente Symphonie oder auch nur die kleine Einleitungsmusik zum Schlulfteil des Faust, die keiner vergilt, den sie irgendwie nur zu der hoch gelegenen und terrassenfdrmig gebauten B3erglandschaft der Eremiten mit hinaufgeffihrt hat. Wie oft auch die Achse am Wagen, die blolie Talent- gabe, bei dieser ungeheuren Belastung brechen mag: niemand ist bisher in der Gewalt seelenvollster, rauschendster, visionarster Musik dem Himmel naher- getragen worden als dieser sehnsuchtsvolle, heilige, hymnenhafte Mann. Wie ein ferner Bote kam dieser Ktinstler in seine leere, matte, skeptische Zeit, erhaben in der Gesinnung, unerhbrt in der Kraft und mdnnlichen Glut seines Patho.: und wahrhaft nahe daran, das letzte Geheimnis der Musik zu spenden. WILLI BIREDEL 1901 geboren, vertliBte in den Jahren wandte und Bekannte' im Aufbau-VerTag 1930 bis 1932 Festurngshaft wegen einiger Berlin, erschienen ist. - Bredels Roman- Zeitungsartikel, war von 1933 eis 1934 fiber Manuskript ,,Begegnung am Ebro" hatte ein Jahr lang im RZ und ging Ende 1934 abenteuerliche Schicksale, fiber die seiner- nach Moskau. Er wurde 1935 ausgebtir- zeit C. F. Weiskopf in der ,,Neuen Zai- gert. Im Exil schrieb er den Roman ,Die tung" berichtet hat. - Hier folgt ein Ab- Prilfung", der ebenso wie sein Buch ,,Ver- schnitt aus dem Roman ,,DIE PROtFUNG": ,,Um Gottes willen, Walter, was hast du?" Kreibel sitzt aufgerichtet im Bett, die Augen unnatilrlich geweitet, den Kopf in beiden Harnden und stbhnt und wimmert. ,,Was hast du nur, schreist mitten im Schlaf, schlagst um dich und springst auf." ,,Sie haben Fritz Jahnke hingerichtet!" ,,Unsinn, du hast getraumt!" ,,Wirklich! War das nur ein Traum? Oh, es war ein entsetzlicher Traum! Entsetzlich !" ,,Leg dich wieder hin und schlaf. Du bist ja ganz nal. Du fieberst. Walter, werde mir nur nicht krank." Kreibel wirft sich aufs Kissep zurtick, lihlt sich wie ein Kind die Bettdecke bis an die Brust legen und das Gesicht streicheln. ,,llse, glaubst du, dal3 sie ihn hinrichten werden?" ,,Nein, sie werden das Urteil nicht vollstrecken!" Kreibel stblt einen Seufzer der Erleichterung aus. / Die Woche ist vortiber. Heute trifft Kreibel die drei. Er hat sich entschieden. Er versteht jetzt gar nicht, wieso es Hemmungen geben konnte. Die Partei ruft, wie kann er da zogern. Und doch. Es schwelt in ihm ein Rest Grauen. Die Erinnerung hat an Farbe verloren, ist verbialat, aber mitunter steigt sie doch grell vor ihm auf: Dunkelhaft. Ndchtliche Auspeitschungen. Einzelhaft. Der Oktobersopntag mit dem angeschossenen Gefangenen und dem Orgelspiel. Koltwitz' qualvoller Tod ... Und doch. Er hat sich entschieden. Jeder mui3 sich entscheiden; es gibt kein Ausweichen, kein Entrinnen. Kreibel ist auf dem Wege zur Heitmannstralie. Unterwegs kauft er sich eine Abendzeitung und liest im Gehen darin.
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