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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Alice Berend, pp. 20-21
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Oskar Bie, pp. 21-22
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Schlcksalsgrfinden, nicht fiber auBere Situatlonen, es set denn, daB beldes miteinander verflochten ist. Man hat Humor auch ,,praktische Weisheit" zu nennen versucht. Aber der Humor lachelt auch darulber, er fragt: was ist denn weise? Man liest es immer wieder als Kompliment fair den Menschen aufgestellt, daB kein anderes Tier auger ihm lacheln k6nne. Trotzdem neigt die Werteinstellung vieler geistiger Schwergewichtler dazu, tragisch vor- gebrachte Kunstwerke h6her zu bewerten als humoristisch gewagte. Humor als hunstform aber ist ein ernstes, ein ktihnes und~ein demutiges Unterfangen. Er zwingt zu bewuliter Beschrainkung des Stoffes, der Mittel, des Wissens urn die Dinge der Welt. Der schwere Ernst (die beruihmnte Trane!), aus dessen Dunkel das Lacheln allein wachsen konnte, darf um Stil und Form willen nur so fein angedeutet werden, daB ihm grobere Naturen oft gar nicht zu finden verstehen. Die mystische Verbundenheit der Geschehnisse, von der der HumorisL genau so viel oder so wenig weiB wie der Tragiker, mug durch gant unscheinbare Ereignisse kenntlich werden, so wie das Leben selbst ganz unauffallig seine Faden flicht. OSKAR DIE 1864 geboren, lange Jahre Hlerausgeber wie zahlretcher kulturhistorischer Schrif- der ,,Neuen Rundschau"' war der Autor der ten und Eilcher, die nach 1933 nicht neu bei S. Fischer erschienenen grollen Werke aufgelegt werden durften. Aus dem Essay- ,,Die Oper" und ,,Das deutsche Lied" so- band Bies: ,,REIPSE UM DIE KUNST": Bei mir oben im Regal stand ein alter Brockhaus von 1879, wo Wagner noch als bbser Egoist bezeichnet ist und Kiautschau noch den Chinesen ge- h6rt. Ich freute mich kindisch, ihn mit der Zeit durch den neuen von 1901 ersetzen zu k6nnen. Der neue hat einen sch6nen und wirksamen Ruicken, und siebzehn sch6ne Rticken machen schon etwas aus in dem BEfeherschrank eines jener Heuchler, die fortwahrend fiber die Notwendigkeit der zeit- gemaBen Buchausstaktung schreiben und dabel dutzendweise ungebundene Exemplare, deren Herkunft keinem Uneingeweihten zweifelhaft ist, in die ersten Reihen ihrer Regale stellen. Ich leugne es keinen Augenblick, daB lch das Konversationslexikon brauche. Wir sogenannten Gebildeten kennen wohl einige Dinge, die wir auf unseren Reisen bei Mensch und Stadt gesehen haben, aber wir besitzen zabllose blinde Flecke in unserem Arbeitsorgan, die der eine mehr, der andere weniger eingesteht. Ich babe nach keinemn Buch so oft und zu so ver- schiedenen Gelegenheiten gegriffen wie nach diesem. Wenn mince Frau eine Augenkrankheit hatte, habe ich mich belehrt, wie dieses Instrument kon- struiert ist und wo die Krankheit sitzt, dann war 1ch beruhigt. Wenn meine Mitarbeiter merkwtirdige exotische V6lkerstamme zitierten, habe ich sie mittels Brockhaus kontrolliert und dabei ein bilchen Geographic gereist, wie ich es sehr liebe, und ich war beruhigt. Wenn ich die verschiedenen Heinrichs und Ferdinands, die auf Thronen sitzen muliten, nicht mehr unter- scheiden konnte, lieB ich sic hier Revue passieren, und ich war fiber ganze Dynastien vollkommen beruhigt. Ich habe sogar ... Dinge nachgesehen, und war ... beruhigt. Man weiB so vieles nicht, Botanik und Politik ist man so schwach, Statistik ist so sch6n, Artikel daraus zu machen, zum Beispiel Geschichte der Ausstellungsbauten, Jahreszahlen kann man sich, wenn man auf gewisse geistige Vorzuige Anspruch erhebt, uberhaupt niernals merken - 21
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