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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Georg Bernhard, pp. 19-20
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Alice Berend, pp. 20-21
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viertesten Under der Welt, Von dem bis vor kurzem grol3e und bleibende Leis'ungen fUr die ganze Menschheit ausgegangen sind, in einen Zustand vormittelalterlicher Barbarei gesttlirzt hat. Vielleicht rUttelt dieses Dokument des Volkerbundes die Geister, die es anF ruft, nun endlich doch in letzer Stunde wach! Es ist noch gar nicht so lange her, da durfte man erwarten, daB, wenn auch nur khnliches von dem ge- schahe, was sich wahrend der letzten Zeit in Deutschland ereignet hat und noch unentwegt weiter vor sich geht, die Menschen aller Lander entsetzt -ich zum Widerstand sammeln wiirden. Aber gegenuber den Methoden des Hitler- regimes war die Reaktion seltsam anders. Die Entrdistung des Anfangs ist volligem Schweigen gewichen, das nur ab und zu noch durch den Aufschrel der Opfer unterbrochen wird. Selbst das Echo auf ciese Schreie gepeinigter Seelen ist seit Monaten fast vollig erstorben. Und manchmal hat rman bei- nahe die Empfindung, als ob hie unrd da sogar der Appell an das Weltgewissen seitens der Heimgesuchten oder ihrer Filrsprecher fast als eine unbequeme Belastigung empfunden wird. Es fehlt nicht mehr viel daran, daB man die Martyrer der Friedensst6rung zeiht, ein Hindernis fur die Versohnung der anderen Regierungen mit ihren Henkern zu bilden. Warum reagiert die Welt so? Warum schweigt sle wirklich zu alledem? An der Spitze der GrUnde steht die erschreckende ,,Tragheit des Herzens", die Uber die Welt gekommen ist. Die Menschen haben seit dem Weltkriege zu viele Wechselfalle des Schicksals und ein zu reiches MaB des Grausigen und Grausamen erfahren, als dab noch etwas sie wirklich aufwiihlen k6nnte. Millidnen von Mqnschen sind auf den Schlachtfelcern hingemordet und im Elend der Nachkriegsjahre verkommen. Andere Millionen haben ihre Heimat verloren, sind von einem Erdstrich auf den anderen verpflanzt worden. Und Hunderttausende sind auf der Wanderung zugrunde gegangen oder im Exil verikommen. Das hat gegen Sensationen abgestumpft. . Warum schweigt die Welt? Die zweitc Antwort auf diese Frage lautet: Dal3 heute allzu viele Menschen mit ihren eigenen Sorgen und Kummernissen beschaftigt sind, daB ihre Seele verstockt gegen fremdes Leid geworden is-. Sie sehnen sich alle nach Ruhe und Frieden. Und sie beurteilen alles Ce- schehen lediglich danach, ob es nicht etwa den Wirrwarr noch vermehren und den Tag der Ruhe und des Gleichgewichts noch weiter hinausschieben konne. Weil aber die Menschen wissen, daB es nicht menschlich ist, sich gegen frem- des Leid zu verschlielen, und weil sie sich schamen, unsittlich zu handeln, so binden sie sich Scheuklappen vor und konstruieren sich Ausreden, die es rechtfertigen, dab sie sich abschlieBen und die Dinge gehen lassen. ALICE B]E1REND 1878 in Berlin geboren, fst die Verfasserin danken liber den .,MJTMOR ALS KUNST- vielgelesener Roniane von Uberlegenerm FORM" hat sie seinerzeit in einer Ant- Humor (t Frau llempels Tochter", ,Die wort auf die Urnfrage der vor 1933 er- Brdutigame der BabetteBoinberling" usw.). schienenen deutschen Literaturzeitschrift Sie tst ir Schweizer Exil gestorben. Ge- ..Die Literarische Welt" wiedergegeben: Humor lachelt und ist gerauschlos, Komik lacht knallend. Wer auf Komik reagiert, der brullt schon auf, wenn ein Dicker und ein Diunner oder ein Langer und ein Kurzer gleichzeitig den Hut abnehmen. Komik ist eine auBer- liche Angelegenheit. Humor lichelt uber Kontrastc von Eigenschaften, von 20
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