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Aufwärts
Jahrgang 20, Nr. 7 (July 15, 1967)
Dohrenbusch, Hans
Zum hundertsten Geburtstag von Käthe Kollwitz 8 Juli 1967, pp. 10-11
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Zum hundertsten Geburtstag von Käthe Kollwitz 8. Juli 1967 Die Mütter D er Vormittag des 26. Februars 1893 war für die Welt des Theaters in Deutschland ein großer Tag, denn Ger- hart Hauptmanns Drama .Die Weber" wurde nach unendlichen Schwierigkeiten der Zensur des Kalserreiches in der <Freien Bühne Berlin" uraufgeführt. Der Dichter errang damit Weltruhm. Zum erstenmal stand auf einer deutschen Bühne das unterdrückte und erniedrigte Proletariat: leidend, revoltierend und ge- schlagen von ökonomischer Willkür und staatlicher Rechtlosigkeit. Brennend vor Interesse und in tiefster Seele aufge- wühlt saß im Parkett die junge Künstlerin Käthe Kollwitz. Ihre freiheitliche und so- ziale Einstellung war geprägt. Ihr Groß- vater wirkte als freirellgiöser Pfarrer, der Vater hatte das Jurastudium aufgegeben, war Maurer und schließlich Maurermei- ster geworden, ihr Bruder wirkte als Redakteur an einer liberalen Zeitung, sie war verheiratet mit dem Kassenarzt Karl Kollwitz, der in den Armenvierteln Ber- lins praktizierte. Für Käthe Kollwitz war die Aufführung der ~Weber" eine Sternstunde. Ihre an- gefangenen Arbeiten ließ sie liegen. Unter dem Eindruck des Stückes arbeitete sie vier Jahre an dem Weberzyklus - drei Lithographien und drei Radierungen -, der 1898 in der großen Kunstausstellung am Lehrter Bahnhof in Berlin ausgestellt wurde. Die Jury, darunter der alte Adolph von Menzel, wollten sie mit einer Goldmedaille auszeichnen, aber Wilhelm der Zweite erhob Einspruch. Doch ihr Ruhm war begründet. Im nächsten Jahr wurde ihr auf der Ausstellung in Dresden die Goldmedaille verliehen. Dem Weber- zyklus folgt 1908 der Zyklus Bauernkrieg. Die sozialen Spannungen der Zeit finden darin noch stärker und bewußter ihren Ausdruck. Sie steht in der Zeit und will wirken in ihr. Sie sieht die Unterdrückung und das Leid der Millionen arbeitender Menschen und ihrer Familien. Was ist es, das die Künstlerin ihre Sujets aus dem Leben der Unterdrückten und Erniedrigten nehmen läßt? Ist es Mitleid, nach Schopenhauer die Grundlage der Sittlichkeit, das sie bewegt? In ihrem Tagebuch schreibt sie darüber: ~Ich möchte hierbei einiges sagen über die Abstempelung zur sozialen' Künst- lerin, die mich von da an begleitete. Ganz gewiß ist meine Arbeit schon damals durch die Einstellung meines Vaters, meines Bruders, durch die ganze Litera- tur jener Zeit auf den Sozialismus hinge- wiesen. Das eigentliche Motiv aber, warum ich von jetzt an zur Darstellung fast nur das Arbeiterleben wählte, war, weil die aus dieser Sphäre gewählten Motive mir einfach und bedingungslos das gaben, was ich als schön empfand. Schön war für mich der Königsberger Lastträger, schön waren die polnischen Jimkies auf ihren Witinnen, schön war die Großzügigkeit der Bewegungen im Volke. Ohne jeden Reiz waren mir Men- schen aus dem bürgerlichen Leben. Das ganze bürgerliche Leben erschien mir pedantisch. Dagegen einen großen Wurf hatte das Proletariat. Erst viel später, als ich, besonders durch meinen Mann, die Schwere und Tragik der proletarischen Lebenstiefe kennenlernte, als ich Frauen kennenlernte, die beistandsuchend zu meinem Mann und nebenbei auch zu mir kamen, erfaßte mich mit ganzer Stärke das Schicksal des Proletariats und aller seiner Nebenerscheinungen. Ungelöste Probleme wie Prostitution, Arbeitslosig- keit, quälten und beunruhigten mich und wirkten mit als Ursache dieser meiner Gebundenheit an die Darstellung des niederen Volkes, und ihre immer wieder- holte Darstellung öffnete mir ein Ventil oder eine Möglichkeit, das Leben zu er- tragen. Auch mag eine große Tempera- mentsähnlichkeit, die mich mit meinem Vater verband, diese Hinneigung ver- stärkt haben. Mitunter sagten meine Eltern selbst zu mir: ,Es gibt doch auch Erfreuliches im Leben. Warum zeigst du nur die düstere Seite?' Darauf konnte ich nichts antworten. Es reizte mich eben nicht. Nur dies will ich noch einmal be- tonen, daß anfänglich in sehr geringem Maße Mitleid, Mitempfinden mich zur Darstellung des proletarischen Lebens zog, sondern daß ich es einfach als schön empfand." Das ist ein Bekenntnis. Moral und künst- lerische Auffassung begegnen sich und bilden eine Einheit. Ihre Kunst galt im Ausdruck den Unterdrückten, Erniedrig- ten und Beleidigten, ihr Gesamtwerk ge- hört allen Menschen. Schwarz und weiß sind die Farben dieser Meisterin aller graphischen Künste, die als Mutter die entsetzliche Not der Mütter jener Zeit dar- stellte. Und der Kinder. Sie zeichnete Plakate gegen die Not der Heimarbeite- rinnen. Die Kaiserin erhob Einspruch. Sie zeichnete ein Plakat für Kinderspiel- plätze. Einspruch. Die Wirklichkeit wollten die herrschenden Kreise des Kaiserreiches nicht sehen. Noch tiefere Trauer kommt über die Künstlerin. Der erste Weltkrieg bricht aus. Ihr Sohn Peter fällt schon nach wenigen Monaten. Umfassender wird ihre Kunst. Nun gilt sie allen, die unter dem Moloch Krieg leiden. Wer stände nicht erschüttert vor den Plastiken Vater und Mutter, die sie für einen belgischen Soldatenfriedhof formt, wer könnte den Arbeiterjungen vergessen, der seine Finger zum Schwur hebt: Nie wieder Krieg! Wer könnte ver- gessen die trauernden Arbeiter vor dem toten Karl Liebknecht. Die Weimarer Republik ehrt sie. Sie er- lebt noch, wie sich die Schatten der Not mildern. Aber dann kommt die Barbarei. Sie tritt aus der Akademie der Künste aus. 1935 erscheint ihre Steindruckfolge vom Tode. Ihr Mann Karl Kollwitz stirbt 1940. 1942 fällt der Enkel Peter. 1943 wird ihre Wohnung in Berlin durch Bomben zerstört. Am 22. April 1945 stirbt sie in Moritzburg. Einzureihen in irgendeine Kunstrichtung ist Käthe Kollwitz nicht. Sie war selbst eine Richtung. Und eingegangen ist sie in die Herzen der Menschen, die diese Erde wohnlicher machen wollen. Selbstbildnis Familie Hans Dohrenbusch
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