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Aufwärts
Jahrgang 20, Nr. 7 (July 15, 1967)
Scheuch, Erwin K.
Entlarven Sie die Gegner der Freiheit!, pp. 8-9
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K. Scheuch Jahren schon endete, und daß es sich um Gesundheit und Freiheit von Studen- ten handelt, die in Berlin verletzt wurden, läßt diese Vorgänge zuerst zu unserer Angelegenheit werden, zu einer Trauer an den Hochschulen unseres Landes. Studenten sind aber auch Mitbürger und Mitmenschen - die Bürger unserer Bun- desrepublik täten gut daran, dies nicht zu vergessen. Und damit wird die Er- schießung von Benno Ohnesorg und die Art, wie in Berlin jetzt mit Demonstranten umgegangen wird, zu einer Angelegen- heit aller Bürger. Leider ist das nicht mehr selbstverständlich. Auch bei den Behörden in Berlin ist jetzt Betroffenheit eingekehrt: Betroffenheit nicht über ihr Handeln, Betroffenheit, daß man für das sogenannte Durch- greifen der Polizei so wenig Verständnis hat, Betroffenheit, daß Ruhe nicht mehr die erste Bürgerpflicht sein soll. Wenn ein Mensch durch die Hände derer stirbt, die unsere Leben eigentlich schützen sollen, wenn viele Menschen schwerver- letzt daniederliegen - verletzt durch die, welche unsere Gesundheit schützen sollen, wenn Behörden sich gegenüber den Leiden von Mitmenschen so un- empfindlich zeigen, wie dies jetzt in Berlin der Fall ist, dann ist für uns aller Grund zur Trauer und zu weiterer Sorge gegeben. So rufen wir an den Hoch- schulen unsere Mitbürger auf, mit uns zu trauern und mit uns besorgt zu sein um unsere Republik. Dies ist ein Augenblick der Trauer und noch nicht der Augenblick des wirk- lichen Protestes. Dieser Augenblick wird noch kommen, wenn die volle Wahrheit über das Verhalten vieler Poli- zisten und über das Verhalten der poli- tischen Instanzen in Berlin bekannt wird. Die Nachrichtensperre über Kran- kenhäuser wird nicht ewig dauern, wir werden über Art und Ausmaß der Ver- letzungen junger Menschen - und auch der schweren Verletzungen von Mäd- chen - bald mehr wissen. Wir werden irgendwann wissen, ob eine Verschwörung bei Berliner Polizisten bestand, es bei nächster Gelegenheit ,den Studenten einmal zu zeigen". Wir werden Tonbänder und Filmaufzeich- nungen über die Art erhalten, wie Poli- zisten in Berlin auf Bürger eindrangen, jawohl - auf Bürger, denn auch Studen- ten sind freie Mitbürger unseres Staates, dürfen wählen, w#rden zum Wehrdienst herangezogen und werden an führenden Stellen unserer Gesellschaft wirken. Recht zum Protest Dies ist ein Augenblick der Trauer und damit der Besinnung. Wir möchten un- sere Mitbürger bitten, sich mit uns auf einige ganz einfache Rechte zu besinnen: verschaffen, einer Regierung muß noch mehr daran liegen, die Freiheit der Bür- ger zu bewahren. Selbstverständlich haben Polizeistaaten es leichter, nach Belieben bei Staatsbe- suchen Jubel oder Protest zu erzeugen. Selbstverständlich ist es für alle Be- hörden nicht einfach, in einer freien Ge- sellschaft ihren Auftrag zu erfüllen. Und speziell an die Polizei gerichtet: Sie haben die Pflicht, den Frieden in der Öffentlichkeit zu erhalten oder herzustel- len. In einer Demokratie hat eine Polizei aber nicht den Auftrag, politische Geg- ner zum Schweigen zu bringen oder ein- zuschüchtern. Im Augenblick fordern Studenten, daß man in unserem Lande diese einfachen Gesichtspunkte nicht übersieht. Es sind aber auch die Frei- heiten aller Bürger, die bei den Studen- ten von Berlin verletzt wurden. Nicht das erstemal Dies ist ein Augenblick der Trauer und damit der Besinnung. Der Besinnung, wie es zu diesem Verlust eines Men- schenlebens kommen konnte, und warum so viele unserer Kommilitonen ihre Ge- sundheit verloren. Es ist sicherlich nicht das erstemal, daß wir in unserer Bundes- republik über die Art Klage führen, wie die Polizei ihre Aufgabe wahrnimmt, den Frieden in der Öffentlichkeit zu bewah- ren. Die Schwabinger Krawalle sind un- vergessen, und unvergessen ist dabei die Art, wie Polizisten im Nachhinein mehr bemüht schienen, einander mit Aussagen zu decken, als Unrecht aufzu- klären. Nein, die Vorgänge in Berlin sind nicht der erste Fall - und doch ein be- sonderer Fall. Mit Betroffenheit habe ich gelesen - mit Ihnen gelesen -, auf welche Weise viele Zeitungen in Deutschland über die Vor- gänge in Berlin berichteten. Da wurde von linksextremen und linksradikalen Studenten gesprochen, gegen die eine bis aufs Unerträgliche provozierte Polizei habe eingreifen müssen. Da wurde von Mob oder Fanatismus gesprochen, von Hetze und Ausschreitungen. Selbstverständlich gibt es in Berlin extreme Studenten, denen am Krawall gelegen ist und nicht an der Nutzung ihrer Rechte als freie Bürger. Sie, liebe Kommilitonen, wissen, und Sie, liebe Mitbürger sollten nicht vergessen, daß der Berliner AStA in einer kürzlichen Urabstimmung eine Mehrheit der Stim- men erhielt, daß wir es hier in Berlin nicht mit verschwindenden Minderheiten zu tun haben - wie so oft behauptet wird. Und wenn es schon häßliche Szenen von seiten der Studenten gab, die Szenen von seiten der Polizei waren sicherlich empörend. Mit dem Gummiknüppel junge Menschen in Ecken zusammentreiben mit dem Verhalten der Studenten und ihrem Recht auf Demon- strationen. Scheuch ist Leiter des Instituts für vergleichende Sozialforschung und Vorstandsvorsitzender des Studenten- werks an der Universität Köln. Wir veröffentlichen die Rede Scheuchs nachfolgend im Wortlaut.
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