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Aufwärts
Jahrgang 19, Nr. 1 (January 15, 1966)
Schäfers, Gottfried
Ein Lied, drei, vier..., pp. 8-9
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nmi Gesang der Bundeswehr- kritisch betrachtet von Gottfried Schifers F ünf Stunden Gefechtsausbildung ha- ben die Rekruten hinter sich. Nun mar- schieren sie über einsame Landstraßen in der Nähe von Stade zurück in ihre Kaserne. Unter festgebundenem Stahl- heim kommen die jungen Leute ganz schön ins Schwitzen. Leutnant G. be- fiehlt: <Ein Lied!" Die Rekruten bemühen sich redlich, einen Heller und einen Bat- zen zu Wasser und zu Wein zu grölen. Aber es gelingt nicht. Das hätte Leutnant G. sich denken können, denn bei fest- gebundenem Stahlhelm bekommt man die Zähne nicht voneinander. Jetzt lautet der Befehl: <Tiefflieger von links!" Die Rekruten gehorchen und werfen sich auf den Boden. Trotzdem wird nach dem er- neuten Formieren der Marschkolonne der Gesang nicht besser. Daran ändern auch nichts die folgenden Kommandos <Tief- flieger von rechts!" und ,Atomblitz!" solange der Stahlhelm bleibt, wo er ist. Und am Stahlhelm wird nicht gerüttelt. Restlos ausgepumpt erreicht die Aus- bildungskompanie ihre Kaserne. Wir Deutsche sind eine sangesfreudige Nation. <Wo man singt, da laß dich ruhig nieder, böse Menschen haben ein Radio!" belehrt uns ein verballhorntes Sprich- wort. Aber das Sprichwort stimmt nicht. Den deutschen Männern wird die Liebe zum Gesang seit Urväterzeiten von der Armee eingegeben. Auch die Bundes- wehr macht da keine Ausnahme, wie aus dem geschilderten Erlebnis eines Rekru- ten in Stade und aus unzähligen anderen Beispielen zu ersehen ist. Ex-Verteidi- gungsminister Franz-Josef Strauß nann- te das Singen der Soldaten einen <Quell der Freude und der inneren Bereicherung .. in frohen und schweren Stunden". Und auch diesen Satz schrieb der Ex- Minister im Vorwort des Liederbuches der Bundeswehr <Hell klingen unsre Lie- der": <Geist und Haltung der Truppe spiegeln sich in ihren Liedern." Hier soll nun vom Gesang der Bundes- wehr auf Geist und Haltung der Truppe geschlossen werden. Dazu habe ich Sol- daten und Reservisten - junge Männer in den Kasernen und nach ihrem Wehr- dienst - befragt. Nicht zuletzt habe ich mir Gedanken gemacht über einige Texte in dem flexiblen Büchlein <Hell klingen unsre Lieder". Ja, wir war'n die Herren der Welt ... und wollen's beim Teufel noch sein. So singen unsere Soldaten. Nach ihren Liedern zu urteilen, scheint die Bundes- wehr revanchistische Absichten zu ha- ben: ,Wir sehn uns wieder, mein Schle- sierland, wir sehn uns wieder am Oder- strand." Ich fragte unsere Soldaten da- nach, was sie sich beim Singen solcher Lieder denken. Hier sind einige Antwor- ten: <Wir haben dieses Lied nur gesungen, weil man dabei so schön laut schreien kann. Wer glaubt denn heute noch daran, daß Schlesien und Oderstrand jemals wieder deutsch werden." (Klaus-Peter K., Gefreiter, 22.) <Wir haben das Lied ,Kehr ich einst zur Heimat wieder', in dem das Schlesierland besungen wird, nur deshalb gegrölt, weil es allgemein bekannt war. Das langwie-. rige.Einstudieren entfiel." (Wolfgang R., Gefreiter, 21.) <ich habe mir nie Gedanken über die Texte unserer Liedergemacht." (Hermann K., Kanonier, 21.) <Die erzieherische Wirkung Ist nicht nur von den Vorgesetzten abhängig; starke Einflüsse gehen auch.., aus vom Geist der Gemeinschaft." So steht es in den <Leitsätzen für die Erziehung des Solda- ten". Offiziere und Unteroffiziere der Bundeswehr müßten also streng darauf achten, daß nur Lieder gesungen werden, deren Texte sie vertreten können. Aber anscheinend sind sich unsere Soldaten noch nicht einmal darüber im klaren, wes- halb sie überhaupt singen. Der Bundes- minister für Verteidigung- Kai-Uwe von Hassel schrieb: ~Es ist ein alter Brauch der Soldaten, auf dem Marsch, im Biwak, bei festlichen und auch bei ernsten Gelegenheiten zu singen. Die Bundes- wehr setzt diese Tradition fort." Sollen wir uns mit dem Hinweis auf die Tradi- tion zufriedengeben? Ich meine nein, und ich stellte deshalb die Frage nach dem Sinn des Singens: <Dadurch wird das Marschieren erleich- tert. Im Unteroffizierslehrgang wurde uns noch weisgemacht, daß das Singen un- sere Stimmen schulen würde, damit wir später die Befehle richtig brüllen könnten. Wir mußten deshalb ständig singen." (Heinz-Dieter W., Ausbilder, 24.) <Wir mußten deshalb soviel singen, weil die einzelnen Zugführer versuchten, sich gegenseitig zu übertrumpfen in Laut- stärke." (Klaus P., Gefreiter, 22.) ~Ich kann mir denken, daß die Soldaten, die mit Marsch und Gesang durch ein Städtchen ziehen, das Bild von der Bun- deswehr in der Bevölkerung verbessern." (Klaus H., Gefreiter, 21.) ~Das Primäre ist die Freude durch das Singen. Durch Singen der Marschlieder wird das Marschieren erleichtert und der Marschschritt gehalten. Ich achte sehr darauf, daß die Schönheit der Lieder er- halten bleibt. Zuvor schaue ich den Text kritisch an." (Adalbert A., Leutnant, 22.) . und froh ist stets mein Sinn Der Soldat, von dem im Lied <Wolken ziehn in dunkler Nacht" berichtet wird, ist zu beneiden ob seiner anhaltenden Fröh- lichkeit: <Stolz steh' ich für Deutschland Wacht, und froh ist stets mein Sinn." Aber die- ser Soldat ist nicht alleine fröhlich in der Bundeswehr: S,Kehr'n wir abends ins Quartier zurück, müde, abgekämpft und naß, dann wissen wir, daß wir Kerle sind, und darum macht es uns Spaß." (.Lebewohl mein Schatz".) <Ist der Dienst auch schwer, 's kümmert uns nicht sehr, wir sind gern dabei .. (<Gestern und heut"'.) ~Ob uns der eigene Bruder vergaß, uns geht die Sonne nicht unter." (,Wilde Gesellen".) ~Freunde, stoßt an, daß die Gläser erklin- gen, komme, was wolle, das Leben ist doch schön!" Soldaten hat man nicht nur für den Frie- den, hauptsächlich sogar für den Krieg. Auch unsere singenden Vaterlandsver- teidiger müßten auf diese bittere Wahr- heit vorbereitet werden. Aber: <Ein gut geführter Krieg ist wie eine große Sym- phonie!" schrieb wie zum Trost der Ge- neral a. D. von Boetticher in der ~Wehr- kunde". Daß bei solcher Art von Musik einige in den Dreck beißen müssen, liegt in der Natur der Sache. Nach einer Um- frage des Allensbacher Instituts für De- moskopie sind von hundert befragten Männern nur drei bereit, für das Vater- land zu sterben. Aber bei der Bundes- wehr singt man freudig: <Hilft nichts, es ist einmal gewiß, es muß gestorben sein". (<Es geht wohl zu der Sommerzeit".) ~Und läßt uns im Stich einst das treulose Glück, und kehren wir nicht mehr zur Heimat zurück, trifft uns die Todeskugel, ruft uns das Schicksal ab, dann ist uns der Panzer ein ehernes Grab." (<Ob's stürmt oder schneit".) ~Ist ganz gleich, wer da muß sterben, hat für immer seine Ruh." (~Kamerad nun laß dir sagen".) Beiläufig und geringschätzig wird von dem Leben eines Menschen gesprochen. Mit einer Unverfrorenheit sondergleichen wird der Tod eines Soldaten verharmlost, daß man fragen muß, ob das die richtigen Mittel sind, um aus den Soldaten der Bundeswehr ~Demokraten in Uniform" zu machen. <Wissen wir auch nicht, wo- hin es geht, wenn nur die Fahne vor uns weht." Und: <Wir kämpfen für Vaterlan- des Ehre." Die von mir befragten jungen Männer machten zunächst betretene Gesichter, wenn ich sie darauf hinwies, daß aus den Texten ihrer Lieder die freudige Bereit- schaft zum Sterben für das Vaterland geschlossen werden muß. Dann vernein- ten sie meine Vermutung sehr energisch: ~Keineswegs bin ich bereit, für das Vater- land zu sterben!" <Aber Sie brüllen es doch lauthals heraus?" ~Wenn es zum Krieg kommt,'ist man auch als Zivilist gefährdet" Das ist natürlich keine Antwort, sondern eine Ausrede. Und im Grunde sind es alles faule Aus- flüchte, die ich auf diese Frage erhalte: ~Jeder hofft, daß es keinen Krieg gibt, und deshalb habe ich mir auch noch keine Gedanken über das Sterben gemacht." ~Wenn es zu einem Krieg kommen würde, müßten über kurz oder lang doch Atom- waffen eingesetzt werden. Und dann ge- hen alle dabei drauf." ~So konkret habe ich mich mit den Lie- dern noch nicht auseinandergesetzt. Ich glaube, daß keiner daran denkt, einmal sterben zu müssen." Leutnant A., der das Lied mit der zwei- felhaften Zeile <Hilft nichts, es ist einmal gewiß, es muß gestorben sein" bei sei- nen Leuten singen läßt, verteidigt es so: ~Dieses Lied kann bedenkenlos gesun-
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