Page View
Aufwärts
Jahrgang 19, Nr. 2 (February 15, 1966)
Saroyan, William
Telegraphenbote Homer, p. 19
Page 19
ier strationen: Eva Ohlow dem Hause der Mrs. Sandoval g der Telegraphenbote von sei- hrrad. Er ging zur Tür und klopfte !. Er wußte sofort, daß jemand im war. Zwar konnte er nichts hören, er sicher, daß auf sein Klopfen öffnen würde, und sehr neu- wer diese Frau namens Rosa al sein würde, die jetzt von dem in der Welt erfahren und es am i Leibe spüren sollte. Nach einer furde die Tür geöffnet, drehte sich r langsam in den Angeln. Die Be- der Tür drückte etwa folgendes er immer diese Frau war, so hatte its in der Welt zu fürchten. Dann Tür offen, und da stand die Frau. erschien die Mexikanerin sehr Er konnte sehen, daß sie ihr Leben sehr geduldig gewesen daß sich nach all den Jahren ihr .n ein mildes, ja heiliges Lächeln it hatte. Aber für Menschen, die legramme bekommen, bedeutet cheinen eines Telegraphenboten Tür schreckliche Verwicklungen. wußte, daß Mrs. Rosa Sandoval cken war, ihn zu sehen. Ihr erstes iar das erste Wort jeder Über- ng. Sie sagte: <Oh!", als hätte sie inen Telegraphenboten, sondern Iten Bekannten erwartet, mit dem h erfreut niedersetzen könnte. sie sprach, studierte sie Homers und Homer wußte, daß sie die Botschaft sei keine willkom- legramm?" sagte sie. nicht Homers Schuld. Seine war es, Telegramme zuzustellen. m schien es ihm, als wäre er an izen Kalamität beteiligt. Er war 1 und hatte beinahe das Gefühl, allein für das, was geschehen erantwortlich wäre. Gleichzeitig es ihn, geradeheraus zu sagen: 1 nur ein Telegraphenbote, Mrs. al. Es tut mir leid, daß ich Ihnen ches Telegramm bringen muß, 1 tu es bloß, weil es mein Dienst ." en ist es?" fragte die Mexikanerin. s. Rosa Sandoval, 1129 GStreet", ete Homer. Er hielt die Depesche u hin, aber sie wollte sie nicht be- <Sind Sie Mrs. Sandoval?" lomer. komm herein", sagte sie. ~Ich icht Englisch lesen. Ich bin ierin. Ich lese nur ,La Prensa', die xiko kommt." chte eine Pause und sah den an, der verlegen dastand und so nah an der Tür, als es möglich war, um dabei doch schon im Hause zu sein. <Bitte", sagte sie, <was steht im Tele- gramm?" SMrs. Sandoval", begann der Junge, <im Telegramm steht -" Aber da unter- brach ihn die Frau: <Aber du mußt das Telegramm öffnen und es mir vorlesen. Du hast es ja noch nicht geöffnet." <Ja- wohl, Madame", sagte Homer, als sprä- che er mit einer Lehrerin, die ihn soeben verbessert hatte. Er öffnete das Telegramm mit nervösen Fingern. Die Mexikanerin bückte sich, um den aufgerissenen Umschlag aufzu- heben, und versuchte ihn zu glätten. Dabei sagte sie: <Von wem ist das Tele- gramm - von meinem Sohn Juan Do- mingo?" <Nein, Madame", antwortete Homer. <Das Telegramm ist vom Kriegsmini- sterium." <Vom Kriegsministerium", sagte die Mexikanerin. SMrs. Sandoval", sagte Homer rasch, <Ihr Sohn ist tot. Vielleicht ist es ein Irrtum. Jeder Mensch begeht Irrtümer, Mrs. Sandoval. Vielleicht war es nicht Ihr Sohn. Vielleicht war es jemand anders. Im Telegramm steht, daß es Juan Domingo war. Aber vielleicht hat das Telegramm unrecht." Die Mexikanerin tat, als hörte sie nicht. <Ach, fürchte dich nicht", sagte sie. <Komm herein! Komm herein! Ich bringe dir Bonbons." Sie nahm den Jungen beim Arm, führte ihn an den Tisch in der Mitte des Zimmers, wo er sich nieder- setzen mußte. <Alle Jungens haben Bonbons gern", sagte sie. <Ich bringe dir Bonbons." Sie ging in ein anderes Zimmer und kam gleich mit einer alten Schokoladenbon- bonschachtel zurück. Sie öffnete die Schachtel auf dem Tisch, und Homer erblickte eine merkwürdige Art von Bonbons. <Da", sagte die Frau, ,iß diese Bon- bons. Alle Jungen haben Bonbons gern." Homer nahm ein Bonbon aus derSchach- tel, steckte es in den Mund und ver- suchte es zu zerbeißen. <Du wirst mir kein schlechtes Tele- gramm bringen", sagte sie. <Du bist ein guter Junge - wie mein kleiner Juanito, als er noch ein kleiner Junge war. Iß noch eines." Und der Telegraphenbote mußte noch ein Bonbon nehmen. Homer saß da und knabberte an dem trockenen Bonbon, während die Mexika- nerin weitersprach: <Es sind unsere eigenen Bonbons, aus Kaktus. Ich mache sie für meinen Juanito, wenn er nach Hause kommt, aber iß sie nur. Du bist auch mein Junge." Jetzt begann sie plötzlich zu schluchzen, wobei sie sich zurückhielt, als wäre Weinen eine Schande. Homer wollte aufstehen und fortlaufen, wußte aber zugleich, daß er bleiben würde. Er glaubte sogar, er würde für den Rest seines Lebens dableiben. Er wußte bloß nicht, was er sonst versuchen könnte, um zu bewirken, daß die Frau weniger unglücklich sei, und wenn sie ihn ge- beten hätte, den Platz ihres Sohnes einzunehmen, so hätte er nicht nein sagen können, weil er nicht gewußt hätte, wie. Er stand auf, als ob er damit etwas ändern wollte, was nicht zu ändern war, aber dann kam ihm das Alberne seiner Absicht zum Bewußtsein, und er wurde noch verlegener. Im stillen sagte er sich immer wieder: Was kann ich tun? Was zum Teufel kann ich tun? Ich bin doch nur der Telegraphenbote! Plötzlich nahm ihn die Frau in die Arme und sagte: <Mein kleiner Junge, mein kleiner Junge!" Er wußte nicht weshalb - denn er fühlte sich durch das Ganze nur verwundet -, aber aus irgendeinem Grund war ihm übel, und er glaubte, er werde sich über- geben müssen. Er hegte keinen Wider- willen gegen die Frau, wie überhaupt gegen niemanden, aber was da ge- schehen war, schien ihm so verkehrt und abscheulich, daß er ganz krank wurde und nicht wußte, ob er noch weiterleben wollte. <Komm", sagte die Frau, ,setz dich hierher." Sie drückte ihn in einen anderen Stuhl und blieb neben ihm stehen. ~Laß dich ansehen", sagte sie. Sie schaute ihn seltsam an, und der Junge, der sich am ganzen Körper krank fühlte, konnte sich nicht bewegen. Er empfand weder Liebe noch Abneigung, sondern nur etwas, was dem Ekel sehr nahekam, aber gleichzeitig tiefes Mitleid, nicht bloß mit der armen Frau, sondern mit allen Dingen und mit der lächerlichen Art, wie sie leiden und sterben müssen. Er sah die Frau, wie sie vor langer Zeit als schönes, junges Weib neben der Wiege ihres Söhnchens saß. Er sah, wie sie auf dieses erstaunliche Menschen- wesen niederblickte, sprachlos und hilf- los und voll der Dinge, die da kommen würden. Er sah, wie sie die Wiege schau- kelte, und hörte, wie sie dem Kind vor- sang. Und seht sie euch jetzt an! sagte er zu sich selbst. Mit einem Mal war er wieder auf seinem Fahrrad und fuhr schnell durch die dunkle Straße. Tränen kamen aus seinen Augen, und sein Mund flüsterte kindliche und verrückte Flüche. Als er wieder beim Telegraphenamt ankam, hatten die Tränen aufgehört, alles andere aber hatte erst angefangen, und er wußte, daß es nicht aufzuhalten sein würde. <Sonst bin ich so gut wie tot", sagte er, als hörte ihm jemand zu, dessen Gehör nicht ganz gut ist. (Aus ~Die menschliche Komödie")
This material may be protected by copyright law (e.g., Title 17, US Code).| For information on re-use see: http://digital.library.wisc.edu/1711.dl/Copyright