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Aufwärts
Jahrgang 19, Nr. 2 (February 15, 1966)
Götz, Christian
Die Taube muß gepanzert sein, p. 16 and 17
Page 16 and 17
V om Frieden träumen bringt nichts ein, wer schützt den jungen Staat? / Die Taube muß gepanzert sein, darum bin ich Soldat." So lautet bezeichnenderweise ein Vers im Lied des Volksarmisten. Sei- ne Armee, die <Nationale Volksarmee", bestand am 18. Januar 1966 genau 10 Jah- re. Gerade wenn wir uns bewußt sind, welche Bedeutung alle Rüstungsfragen in Gesamtdeutschland für die Wieder- vereinigung haben, sollte dieses Datum ein Anlaß sein, uns mit der Militärpolitik und der heutigen militärischen Präsenz des Ulbricht-Regimes auseinanderzu- setzen. Die Militarisierung der SBZ begann schon 194 Am 9. 5. 1951 erklärte Walter Ulbricht in einer Rede vor der <Volkskammer": <Wozu brauchen wir in Deutschland ein Heer, wo wir unsere ganze Kraft benö- tigen, um unsere deutsche Heimat wieder- aufzubauen, und wo es in Europa nie- manden gibt, der die Absicht hat, die Beziehungen mit einem friedliebenden Deutschland zu stören?" Er sagte offen- sichtlich die Unwahrheit und verschwieg, daß es zu diesem Zeitpunkt in der SBZ bereits eine Armee von rund 65000 Mann gab. Die Sowjets hatten schon seit Juli 1948 militärische Einheiten, die sog. <Kasernierte Volkspolizei" (bis Oktober 1952 ,Bereitschaftefi", bzw. <Volkspoli- zei-Dienststellen" genannt), aufbauen lassen. Diese Tarnbezeichnungen für die Armee des SED-Regimes wurden am 18. Januar 1956 fallengelassen. Die <Kaser- nierte Volkspolizei" wurde in <Nationale Volksarmee" umbenannt. Gleichzeitig wurde die Bildung eines <Ministeriums für Nationale Verteidigung" bekannt ge- geben. Bei der Übernahme hatte die <Kasernierte Volkspolizei" eine Personal- stärke von rund 110000 Mann. Diese Zahl an Soldaten stand in der SBZ also bereits unter Waffen, als Anfang 1956 in der Bundesrepublik die ersten 1000 Soldaten einrückten. Es gab ganz gewiß gewichtige Gründe, die gegen eine Remilitarisierung der Bundesrepublik sprachen. Sie wurden in den großen wehrpolitischen Debatten im Deutschen Bundestag durch die Oppo- sition vorgetragen. Dieser kurze ge- schichtliche Abriß verdeutlicht aber, wie unglaubwürdig und politisch haltlos die Polemik der Kommunisten gegen die Wehrbeschlüsse des Bundestages und den Aufbau der Bundeswehr war. Militarismus in der SBZ In den vergangenen 10 Jahren hat im un- freien Teil Deutschlands eine Militari- sierung großen Ausmaßes stattgefunden. Die <Nationale Volksarmee" hat inzwi- schen eine Stärke von 210000 Mann er- reicht. Daneben gibt es als militärisch ausgebildete Verbände die Grenzpolizei- helfer, die Bereitschaftspolizei, die Trans- portpolizei und das Wachregiment des <Ministeriums für Sicherheit", mit zu- sammen ca. 40000 Mann. Von ganz besonderer Bedeutung sind - nicht nur wegen ihrer Größenordnung von ca. 320000 Mann - die ,Kampfgrup- pen der SED". Es handelt sich dabei um militärähnliche Verbände der SED in Be- trieben, Landwirtschaftlichen Produk- tionsgenossenschaften, Behörden, Schu- len usw. SED-Mitglieder und zuverlässige Parteilose im Alter von 25-60 Jahren werden durch die örtlichen Parteileitun- gen dienstverpflichtet. Wöchentlich sind - zusätzlich zur Arbeitszeit - 4 Stunden militärischer Dienst zu leisten. Die Kampfgruppen stellen heute eine mit automatischen Waffen, Granatwerfern, Geschützen und Panzerwagen ausge- rüstete Miliz dar. Sie haben den Wert einer Truppe der territorialen Verteidi- gung und ergänzen somit die ~Nationale Volksarmee". Die Eidesformel, in der es u. a. heißt: <Ich bin bereit, als Kämpfer der Arbeiterklasse die Weisungen der Partei zu erfüllen", verdeutlicht, daß die Kampf- gruppen in ganz besonderem Maße der SED verpflichtet sind. Sie können für die- se in Krisensituationen ein einsatzfähiges Instrument zur Niederschlagung von Streiks und Demonstrationen darstellen. Da zur Zeit (leider) nicht aktuell, sei nur am Rande vermerkt, daß die Kampftrup- pen u. a. auch eine kampfbereite Reserve bilden können, wenn die regulären Ar- meen im Zuge allgemeiner, internationa- ler Abrüstungsvereinbarungen reduziert oder gar aufgelöst werden sollten. Besonders muß unterstrichen werden, daß - wenn man von der jeweiligen Bevölkerungszahl ausgeht - der pro- zentuale Anteil von Waffenträgern in der SBZ wesentlich höher ist als in der Bundesrepublik. Mißbrauch der Jugend durch ~sozialistische Wehrerziehung" Um eine Militarisierung in der SBZ in diesem Umfang durchführen zu können, war dib SED insbesondere auf die Ju- gend angewiesen. Schon auf dem IV. Parlament der FDJdas Anfang Mai 1952 in Leipzig tagte, forderte Walter Ulbricht deshalb: ~Ich wünsche, daß möglichst viele Jugendliche das Abzeichen ,Für Gutes Wissen' erwerben mögen; aber ich spreche auch den Wunsch aus, daß aus der FDJ möglichst viele Jugendliche hervorgehen, die die Auszeichnung als tüchtige Scharfschützen erhalten wer- den." In demselben Jahr wurde im Au- gust auf dem ersten zentralen Treffen der Kinderorganisation ,Thälmann-Pioniere" ein Sportabzeichen <Bereit zum Lernen und zur Verteidigung der Heimat" ge- stiftet. Wenige Zeit später wurde der FDJ für ihren Einsatz bei der Werbung von Jugendlichen zur damaligen ~Kaser- nierten Volkspolizei" von Ulbricht der ~Vaterländische Verdienstorden inGold" verliehen. Die Satzungen der SED, der FDJ und sogar des FDGB enthalten Be- stimmungen, in denen der Waffendienst als ,Ehrendienst" bezeichnet und den Mitgliedern zur Pflicht gemacht wird. Um die geschilderten Vorgänge in ihrer ganzen Tragweite zu begreifen, muß man sie einmal für einen kurzen Augenblick theoretisch auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik transponieren. Man stel- le sich z. B. nur einmal vor, im Jahre 1952 (1) hätte der Bundeskanzler die Jugend- mein Leben zur Erringung des Sieges einzusetzen." Von besonderer Bedeutung an dieser Eidesformel ist, daß die <DDR" als Va- terland bezeichnet wird. Zwar ist von der Sowjetunion und den sozialistischen Ländern die Rede; dafür gibt es an kei- ner Stelle einen Bezug auf Gesamt- deutschland oder das Deutsche Volk. Als Befehisgeber kommt ausdrücklich nur eine,<Arbeiter- und Bauernregierung" in Frage. Die Bundesrepublik als militärischer Gegner Die programmatischen, politischen Er- klärungen Ulbrichts und seiner Funktio- näre passen zu dieser Eidesformel. Tra- gisch ist, daß nach ihrem Inhalt kriegeri- sche Auseinandersetzungen mit der Bun- desrepublik Deutschland offen einkalku- liert und daß die Soldaten deshalb ent- sprechend erzogen werden. So erklärte Ulbricht: <Unsere Soldaten müssen so erzogen werden, daß sie in einem Krieg zwischen der DDR und der Adenauer- Regierung nicht etwa einen Bruderkrieg sehen. Die Soldaten müssen wissen, daß jeder, der die Errungenschaften der DDR antastet, als Klassenfeind zu behandeln ist, auch wenn es der eigene Vater, Bruder, Schwager oder sonst wer ist." Deutlicher und brutaler geht es nicht. Entsprechend dieser <Logik" wurde im vergangenen Jahr im Manöver <Oktober- Sturm", das zusammen mit Soldaten an- derer Länder des Warschauer Paktes auf dem Territorium der SBZ stattfand, auch ein Krieg mit der Bundesrepublik Deutschland <geübt". Das <Neue Deutschland" berichtete in großer Auf- machung, daß die <roten Verbände" der SBZ die <blauen Verbände" der Bundes- republik - u. a. auch durch den Einsatz von Atomwaffen - völlig überrannt hätten. lichen in unserem Lande ganz offen auf- gefordert, sich zu guten Scharfschützen auszubilden; der Bundespräsident hätte einem großen Jugendverband das Bun- desverdienstkreuz für die Werbung von Jugendlichen zur Bundeswehr verliehen; oder die Satzung des DGB enthielte eine Bestimmung, in der es den Organisierten zur Pflicht gemacht wird, die Bundes- republik zu verteidigen und Wehrdienst zu leisten. Erst so wird ganz klar, in wel- chem Teil Deutschlands unbestritten von ~Militarisierung" die Rede sein muß. (Und welche Hetz- und Propaganda- Tiraden hätten ähnliche Vorgänge bei uns durch das Ulbricht-Regime ausge- löst.) Die vormilitärische Erziehung von Ju- gendlichen beiderlei Geschlechts ist in der SBZ in erster Linie eine Aufgabe der bereits im August 1952 gegründeten ~SGesellschaft für Sport und Technik", die heute dem <Ministerium für Nationale Verteidigung" untersteht. Nach § 1 ihres neuen Statuts vom 11. April 1964 ist sie <eine Massenorganisation der Werk- tätigen ... unter Führung der SED. ... Sie sieht in der sozialistischen Wehr- erziehung der Werktätigen und vor der Jugend ihre Hauptaufgabe. Sie stützt durch ihre Tätigkeit die Vor tung der Jugend auf den Ehrendie der NVA." Pflicht aller Mitgliederi Teilnahme an den sog. ,allgem Lehrstunden", zu denen Schießa dung, Geländedienst und Politsch gehören. Erst nach Absolvierunt mindestens 80 dieser Lehrstunden der Jugendliche sich einer der . lichen oder technischen Sektione schließen. Die Gesellschaft hat ca. 4 Mitglieder. Ihre Arbeit wirkt sich aus Presseberichten aus der Zone k man entnehmen, daß Ende 1964 60 der einberufenen Wehrpflichtigen militärisch ausgebildet waren. Nach ziellen Ostberliner Angaben haben allein im Jahre 1964 in der SBZ 2 Kinder und Jugendliche im Alter schen 10 und 18 Jahren das Sport chen <Bereit zur Arbeit und zur Ver gung der Heimat" erworben. Die allgemeine Wehrpflicht wur der SBZ erst am 24. 1. 1962 einge also nach Errichtung der Mauer. Da fall. Neben anderen Gründen be- e das SED-Regime nämlich, daß :ht von Jugendlichen im wehr- en Alter durch die offene Pro- ig der Wehrpflicht vor diesen Sperrmaßnahmen noch wesent- enommen hätte. Bis zu diesem kt ergänzten sich die bewaffneten durch Werbungen, die formal waren. Die Massenorganisa- die - wie bereits betont - den ienst als Pflicht ihrer Mitglieder tatuten aufgeführt haben, erhiel- durch die SED den Auftrag, ein tes Kontingent an <Freiwilligen" n. Diesem Auftrag konnten sie nur nachkommen, indem sie auf gen Mitglieder Druckmaßnahmen Chiedensten Art ausübten. nstverweigerung aus Gewis- nden gibt es nicht assung und das Wehrpflichtge- SBZ kennen keine -Wehrdienst- rung aus Gewissensgründen. ) die SED-Funktionäre die Ju- en in der Bundesrepublik immer ufforderten und noch auffordern, pazifistisch zu denken und zu handeln, ließen sie in ihrem Machtbereich jahre- lang überhaupt keine Diskussionen über diese Fragen zu. Nach erst im September 1964 erlassenen Bestimmungen haben Jugendliche, die den Waffendienst ab- lehnen, lediglich die Möglichkeit, einen Ersatzdienst in ,Baueinheiten des Mini- steriums für Nationale Verteidigung" ab- zuleisten. Sie müssen ein Gelöbnis zur ~Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft der DDR" ablegen, werden von Offizie- ren und Unteroffizieren befehligt und füh- ren vorwiegend militärische Bauarbeiten aus. Einen zivilen Ersatzdienst wie in der Bundesrepublik gibt es nicht. Viele der Wehrdienstverweigerer aus Gewis- sensgründen müssen es natürlich ab- lehnen, sich zu ~Bausoldaten" machen zu lassen und in einer militärischen For- mation zu dienen. In diesem Falle müs- sen sie mit Gefängnisstrafen rechnen. Geist und Zielsetzung der politischen Schulung Selbstverständlich legt das Ulbricht-Re- gime entscheidenden Wert auf die poli- tische Schulung der Angehörigen aller bewaffneten Organe. Die SED und die FDJ bilden dort sogenannte ,Grundein- heiten" und <höhere Leitungen", die die Aufgabe haben, politisch zu agitieren, die Mitglieder zur Pflichterfüllung anzu- halten und über die Einhaltung der Par- teilinie zu wachen. In der <Nationalen Volksarmee" steht neben jedem Kom- mandeur - bis abwärts zum Kompanie- chef - ein sogenannter <Polit-Offizier". Noch wesentlich wichtiger, als Kenntnis- se über die Technik der politischen Schu- lung zu besitzen, ist es, über ihren Geist und ihre Zielsetzung informiert zu sein. Deshalb sollen dazu einige Anmerkun- gen an den Schluß dieser Arbeit gestellt werden. Zunächst sei kurz auf die Eidesformel der Soldaten hingewiesen. In ihr heißt es u. a.: ~Ich schwöre, der DDR, meinem Vaterland, allzeit treu zu dienen und sie auf Befehl der Arbeiter- und Bauern-Re- gierung gegen jeden Feind zu schützen. Ich schwöre, an der Seite der Sowjet- Armeen und der mit uns verbündeten so- zialistischen Länder als Soldat der NVA jederzeit bereit zu sein, den Sozialismus gegen alle Feinde zu verteidigen und Das SED-Regime hat mit seiner ständi- gen Hetze und Propaganda gegen die an- geblich so <revanche- und kriegslüster- nen Militaristen" in der Bundesrepublik im Ausland, zum Teil auch im westlichen, nicht unerhebliche Erfolge erzielt. Um so notwendiger ist es, die Bürger unseres Landes und die Weltöffentlichkeit objek- tiv und hinreichend überdietatsächlichen Gegebenheiten sowie die gefährliche Militärpolitik und den riesigen Umfang der Militarisierung im anderen Teil Deutschlands zu informieren. Das kann unser sinnvoller Beitrag zu den Sieges- paraden zum 10jährigen Bestehen der SNationalen Volksarmee" sein. Im übrigen können wir zur Zeit nur das traurige Resümee ziehen, daß in der Nachkriegszeit in den beiden Teilen Deutschlands große Armeen aufgebaut worden sind. Sie gehören sich feindlich gegenüberstehenden Paktsystemen an und gewinnen für diese ständig an mili- tärischer und politischer Bedeutung. Fast gleichmäßig nehmen die Chancen für eine baldige friedliche Wiedervereini- gung ab. (Also wäre eine Reduzierung beider Armeen eine Notwendigkeit, meint die Redaktion.)
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