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Aufwärts
Jahrgang 19, Nr. 2 (February 15, 1966)
Schallück, Paul
Junge Autoren am Main, pp. 14-15
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im Gespräch mit Paul Schallück Die Zahl der schreibenden jungen Leute in Westdeutschland ist erstaunlich groß. Daß es unter ihnen aber auch bemer- kenswert viele Begabungen gibt, hat diese Zusammenkunft in Lohr erneut be- wiesen. Da las beispielsweise die noch sehr junge Katrine von Hutten Gedichte, die durch die Einfachheit der Sprache auf- fielen; alltägliche Vorgänge verdichten sich zu Bildern, die bei einer überra- schenden sprachlichen Wendung durch- sichtig werden und in neuen Zusammen- hängen aufleuchten. Anfrid Astel, Her- ausgeber der ,Lyrischen Hefte" und sicherlich kein Debütant mehr, las epi- grammatische Gedichte, die sich aus- zeichneten durch gedankliche Schärfe und Witz, durch eindringliche Über- legungen und allgemeine Erfahrungen, die zu blitzenden Aphorismen gerinnen. Ulrich Krauses Prosa verblüffte durch das ethymologische und analytische, phantasievolle und entlarvende Spiel mit Wörtern und Worten, mit Phrasen, Kli- schees und Zitaten; freilich entgeht er nicht immer der Gefahr des Kalauers; vielleicht hat er den Gegenstand, den Stoff noch nicht gefunden, der seinen Möglichkeiten angemessen ist und sie bindet. Ähnliches gilt für Theodor Weissenborn, er hat bereits einen Roman und einen Geschichtenband veröffentlicht. Seine Geschichte eines schizophrenen Mäd- chens war durchsetzt, wenn nicht über- laden mit oft geschickt gesetzten Zitaten verschiedener, meist christlich-liturgi- scher Herkunft; eine Krankengeschichte, zu einer literarischen Story verarbeitet, gelangt selten über die Bedeutsamkeit des klinischen Falles hinaus; und das stilistische Mittel des Zitierens verführt leicht zur Artistik, die das Kunstgewerb- liche streift; Weissenborn ist dem nicht überall entgangen. Wolfgang Beutin, der in Hamburg die hektographierte Zeit- schrift LYNX, Stellungnahmen heraus- gibt und zum Kreis um Kurt Hiller gehört, hatte zu Recht Erfolg mit seinen logisch sezierenden Aphorismen, die oft von der Sprache her zeitkritisch sein woll4n und es im besten Sinne auch sind. Zu erwähnen sind ferner Hans Jürgen Fröhlich, der zwei recht unterschiedliche Kapitel eines neuen Romans vorstellte; Hannelies Taschau mit zwei Gedichten und einer unterkühlten Geschichte; Hans Wolischläger mit einer exzellenten Buch- kritik, einem literarischen Pamphlet; und Bernhard Doerdelmann mit politisch engagierten Zeilen, die er selber Zeit- gedichte nennt. Die Kritik der Autoren an ihren Kollegen war sachlich, ungetrübt durch Freund- schaft oder Bekanntschaft, und wo es am Platze war, auch scharf oder gar unerbitt- lich. Zwei der vorgelesenen Stücke, zwei Romankapitel, fanden sie unentschuld- bar schlecht, vor allem in Sprachkonven- tionen erstarrt, und sie sagten es auch. Allerdings hatte die Kritik ein höheres Niveau als die meisten der vorgelesenen Texte. Und diese sonderbare Tatsache erklärt vielleicht die Beobachtung, daß die jungen Autoren in Lohr erstaunlich gut wissen, wie eine Geschichte erzählt, wie ein Gedicht geschrieben werden sollte. Das Erlernbare des literarischen Handwerks haben sie gelernt, sichtbar in ihren Arbeiten. Aber nicht immer wissen sie, was sie damit anfangen sollen. Die- ses Phänomen läßt sich auch andernorts beobachten, auch in der Gruppe 47, es legt die Erkenntnis nahe, daß Theorie und Praxis auch in der Literatur zwei ver- schiedene Dinge sind, aber auch den Verdacht, einige junge Autoren könnten früher zu schreiben als bewußt zu leben begonnen haben. Paul Schaltück Fotos: Resi Schmidt-Langner
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