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Aufwärts
Jahrgang 15, Nr. 9 (September 15, 1962)
W.
Der Ferienjob ist gefährlich, p. 3
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Mute daas dem Klassenleie. In den Ferien iollte er deshalb aufs Land. Viel Schlaf, Ruhe, Waldluft un täliche Wanderne würden Wunder wirken bei den Zeuren, hatte der A.rzt prophezeit. Karlheinz überlegte es sich anders. Karlheinz fuhr nIcht in den Schwarzwald. Karlheinz ging a Hilfsarbeiter in die Maschinenfabrik. Er hat sich ausgerechnet, daß er dort über fünihun- dert Mark verdient. Und das ist die Summe, die hm noch fehlt, um das grße Fimgerät anzu- schaffen, von dem er schon lange träumt. SDie Arbeit ist bestimmt zu schwer für dich 1" ktgte die Mutter. <Denke doch, wie unter- jewichtig du bistl" Aber Horst, Kariheinzens Freund, war auch angenommen in der Fabrik. SUnd überhaupt, fast alle aus meiner Klass nachen Ferienarbet" konet der Junge. <Das ist interessant - und anders komme ich nie zu meinem Filmapparat. Oder willst du ihn mir kaufen?" So vertauschte Karlheinz die Anspannung der Schule mit der Anspannung der Fabrik. Zwar war die Arbeitdort längst nicht so kräfte- verschleißend wie auf dem Bau, für den sich die Mehrzahl seiner Klassenkameraden ent- schieden hatte. Dennoch fiel er abends wie ein Stein ins Bett. Der Lärm und die verwirrende Fülle unbekannter Maschinen zerrten so sehr an seinen Nerven wie sonst nur Klassen- arbeitstage. Hinzu kam der Ehrgeiz, den neuen Kollegen zu beweisen, daß der <Student" das Tempo hielt. Ein paar Witze in dieser Hinsicht ließen ihn empfindlich werden. In der Schule ist Karlheinz gewöhnt, alle 45 Minuten das Thema zu wechseln. Im Betrieb aber hatte er sich den ganzen Tag über auf eine ewig gleiche, mechanische Arbeit zu kon- zentrieren. Kein Wunder, daß er alle Willens- kraft aufbieten mußte, um nicht schlapp zu machenl Die Folge ist nun, daß die Schule einen noch nervöseren, in seinen Kräften weit überforder- ten Schüler zurückhält. Einen Schüler, der für seine Klasse Ballast bedeutet. Der unlustig und übermüdet in seiner Bank sitzt, anstatt erholt, frisch und aufmerksam mit der Schui- arbeit zu beginnenl Karlheinz ist kein Einzelfall. Hunderttausende Jungen und Mädchen jeden Alters huldigten in diesem Jahr dem ,,Ferenjob. Nicht nur Gymnasiasten und Mittelschüler. Selbst die Zwölf- und Dreizehnjährigen der letzten Volks- Vergeblich warsýen schon in den Vorjahren Lehrer, Eternvereinigungen, Psychologen und Ärzte. Wie eine Seuche ist die Verlockung des Geldmachens über die Schuljugend gekom- men. Es ist Mode, seine Ferien auf dem Bau, am Fließband oder im Büro zu verbringen. Der Nebenmann hat ein Tonbandgerät, darum braucht man auch eins. <Alle" fahren Moped, also will man sich eines verdienen In den Ferien. Und das Mädchen, das den Kleider- luxus der Mitschülerinnen nicht mitmachen kann, stand deshalb sechs Wochen lang als Hilfsarbeiterin am Fließband. Nun hat es genug verdient für das schicke Strandkostüm und die ersehnten Schuhe aus italienl Nicht wenigen Eltrn imponiert diese Selb- ständigkeit ihrer Kinder. Andere wieder sind froh über die wirtschaftliche Entlastung. Wenn die Kinder schon soviel brauchen, dann sollen sie auch dafür aufkommen, sagen sie. -Verständliche Auffassungen, doch übersehen die Väter und Mütter, die so reden, daß ihre Kinder bereits einen sehr anstrengenden Beruf ausüben. Den des Schülers nämlich, von dem gerade auf den Elternabenden immer wieder berichtet wird, wie sehr er an den Kräften zehrt, Ja, daß er die Jugend über- forderel Immer wieder beschäftigt sich die öffentliche Meinung mit der Tatsache, daß an vielen Schulen keine Zeit bleibt, gründlich die jüngste Geschichte durchzunehmen, die doch so wich- tig ist für die Staatsbürger von morgen. Und da sollten wir plötzlich Zeit haben, den Schulbetrieb zugunsten wochen-, ja monate- langer Fabrikarbeit zu unterbrechen? Das kann nur annehmen, wer glaubt, die Ferien seien für den Lehrer da. Das Gegenteil jedoch ist richtig. Die große Ruhepause nach der an- strengenden Zeit der Klassenarbeiten wurde als Ergebnis jahrzehntelanger pädagogischer Erprobung und Erfahrung eingeführt. Sie ent- spricht durchaus den Erfordernissen der jugendlichen Konstitution. Wer diese wohldurchdachte Freizeit zweck- entfremdet, nimmt der Schule etwas, das ihr gehört und dessen sie dringend bedarf, sollen wir nicht wieder eine ahnungslose Generation heranwachsen lassen. <Falsche Großzügigkeit hat In den letzten Jahren zu unhaltbaren Zuständen geführt", sagte uns Oberstudiendirektor 0., der Leiter einer großsätischen Oberschule. <Dabei handelt es sich längst nicht mehr allein um die <Darübe hinaus droh der ,Werkchßler' auch wärend der Schulzei zu einem fatalen Begriff zu werden", berichtet der Schulmann. <Allen an meiner Anstalt habe ich in den letzten Monaten in Dutzenden Fällen fest- gestellt, daß Schüler der Oberkiassen bis in die Nacht'hinein oder In aller Morgent rOhe vor dem Unterricht einer stralpaziösen Lohnarbeit nachgingen 1" Abgesehen von dem heute gut bezahlten, ganz systematisch betriebenen Nachhilfe- unterricht betätigen sich Oberschüler häufig währnd des ganzen Jahres vrnehmlich als Musiker und Organisten, Zeitachriftenverteler, Film- und Thaesalten sowie als halb- tägige Bau- und Grtenarbeter. *F Kann und darf die Schule den Ferienjob unter- sagen? Darüber haben umfangreiche Unter- haltungen zwischen unseren Schulministern und dem Bundesarbeitsministerium sowie der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung statt- gefunden. Dabei wurde von selten der Ge- werbeaufsicht festgestellt, daß bei Jugend- lichen über 14 Jahren lediglich die Beschäf- tigung mit gefährilichen Arbeiten untersagt oder durch Bedingungen eingeschränkt wer- den kann. Darüber hinausgehende gesetzliche Grundlagen gibt es nicht. Das Bundesarbeitsministerium und die Ar- beitsverwaltung vertreten jedoch nachdrück- lich den Standpunkt, daß Ferlenarbeit jugend- licher Schüler in Gewerbebetrieben dem Sinn der Schulferien widerspricht. Es darf daher nicht Aufgabe der Arbeitsämter sein, bei der Vermittlung von Schülern initiativ tätig zu wer- den, wie dies In den letzten Jahren mitunter geschehen ist. Allerdings fehlt auch hier die gesetzliche Mög- lichkeit, eine verlangte Vermittlung grundsätz- lich abzulehnen. in Einzelfällen dürfte die Ein- schaltung der Arbeitsbehörde sogar zweck- mäßig sein, weil damit einigermaßen gesichert wird, daß die gewünschte Tätigkeit dem Lei- stungs- und Entwicklungsstand der Körper- arbeit kaum gewohnten Jugendlichen ent- spricht. In einigen Bundesländern haben nun in diesem Jahr die Unterrichtsministerien festgestellt, daß nach den allgemeinen Schulordnungen gewerbliche und sonstige entgeitliche Tätig- keit nur mit Genehmigung des AnstatsIelters gestattet ist Zeitgemäß müsse diese Bestim- mung dahin ausgelegt werden, daß die Schule Lohnarbeit verbieten können, sobald pd- Recht, bei groben Oberforderungen einzu- schreiten, kann sich jedoch stets nur auf den Einzelfall beziehen. Wenn die schulischeArbet eines Schülers nicht ersichtlich leidet durch seine Ferienbetätigung, ist die Schule nicht berechtigt, ihre Ansicht über Wert und Unwert der Ferlenbeschäftigung mit schuidisziplinären Maßnahmen den Eltern gegenüber durchzu- setzen. Die Verantwortung für eine sinnvolle Urlaubs- benutzung bleibt damit Sache der Väter und Mütter. Die Direktorate der Ober- und Mittel- schulen wurden veranlaßt, in den Elternver- sammlungen nachdrücklich auf die negativen Erfahrungen mit dem Ferienjob hinzuweisen. Vor allem sollen die Schulen den Eltern ans Herz legen, bezahlte Ferienrbeit niemals Kin- dem zu erlauben, die zu jenen rd. 60 v.H. ner- vösen, konzentrationaschwachen oder in WachstumschwerIgkeiten befangenen Schü- lern gehören, die jüngst Münchner Ärzte bei umfangreichen Untersuchungen über die körperliche Verfassung der Schuljugend er- mittelten. Ebenfalls grundsätzlich ausgeschlossen sein muß eine FerienbeschäftIgung für Jungen und Mädchen unter sechzehn Jahren. Desgleichen für solche, die mit schulischen Schwierig- keiten zu kämpfen haben. Und niemals sollten bei der Entscheidung der Eltern materielle Ge- sichtspunkte eine Rolle spielen - falls nicht eine familiäre Notlage dazu zwingt. Hält man aber im besonderen Falle eine Lohn- arbeit für vertretbar, etwa weil sie mit der sozialen Situation eines zukünftigen Berufes bekannt machen soll, dann ist es richtig, sich den Arbeitsplatz und seine Bedingungen zu- vor anzuschauen. Nur unfailslichere, die Wil- lenskraft nicht überfordernde, leichte bis mit- telschwere Tätigkeit In frischer Luft und freier Natur kommt in Frage. Forst- und Vermes- sungsarbeiten gehören in erster Unle dazu. Von geistiger oder auch nur schriftlicher Tätigkeit ist ebenso abzuraten wie von Jeder Funktion im geschlossenen Raum überhaupt. Überstunden sind stets von Übel. Und ohne alle Ausnahme muß mindestens die zweite Ferienhälfte echter Erholung dienen. Selbst- verständlich sollte auch sein, zuvor ärztlichen Rat in Anspruch nehmenl Kein Zweifel also, daß die Warnung vor dem Ferienjob nicht schulischer Engherzigkeit oder gar veraltetem Standesdenken entspringt. Es sind begründet. Sorgen, wslche die Lehrer- schaft nach den Erfahrunger. der letzten Jahre haben mußt W.
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