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Aufwärts
Jahrgang 15, Nr. 7 (July 15, 1962)
Sidney, John
Gefangener der Krokodile, p. 21
Böll, Heinrich
Rom auf den ersten Blick, p. 21
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;Idney telte an den Wurzeln. Und das Wunder ge- schah l Seine Gefährten sahen, daß die Zweige sich bewegten, und gruben hastig den Busch aus. So retteten sie Mudungwel Nie zuvor war jemand auf so außerordentliche Weise diesem gefürchteten Menschenfresser der tropischen Seen und Flüsse entkommen, ser zu erreichen. Jäger, die auf Krokodilhäute aus sind, haben ein anderes Problem. Wenn sie ein Krokodil im Wasser töten, sinkt es auf den Boden des Flus- ses, und kommt erst wieder an die Oberfläche, wenn nach einigen Tagen die Verwesungs- gase seinen Körper auftreiben. Infolgedessen Krokodii schwamm, einen 5teinwurl weit, trage herum, ohne sie zu beachten. Kaum aber er- schien der Jäger mit dem Gewehr, so war es auch schon untergetaucht. Um die Bestie zu überrumpeln, grub der Jäger eine Grube Ins Ufer, in der Nähe der Stelte, wo es sich gewöhn- lich zu sonnen pflegte. Nmuu. tin frOKOoCH pacmne inn. iinlge Leil spater wurde ein Krokodil von einem Polizisten er- schossen. In seinem Magen fand man Arm- bänder und einige Messingknöpfe. Dieses Krokodil war blind l (Aus dem Englischen von Joseph Kaimer) Rom auf den ersten Blick Von Heinrich Böll W as der erste Blick bedeutet, ist abhängig vom letzten; und ich habe den letzten Blick auf Rom noch nicht getan; unzählige erste Blicke: plötzlich von der Via Trionfale aus, unter uns In der Sonne diese riesige Stadt, deren Grundfarbe gelb zu sein scheint - das gelbe Rom über seine Hügel gebreitet; ein erster Blick. An endlos langen Mauern vorbei, die Kühle versprechen und Reichtum ver- bergen, Gärten und Palazzi, Palazzi und Gär- ten: ein erster Blick auf das reiche Rom, dessen reiche Jugend grausam und rücksichtslos in erlesenen Autos umherjagt - das reiche Rom- und das arme in Mietskasernen, wo die Woh- nungen kaum geräumiger sind als ein Auto; das Rom der Katzen, die aus zweitausend- jährigen Geschlechtern zu stammen scheinen: in den Ruinen des Foryms, In den Mauern des Kolosseums; das Rom der Liebespaare, die in dieser Stadt so viele Schlupfwinkel haben wie in keiner Stadt der Weit. Das Rom, das ich aus meinen Lateinbüchern kannte: es gibt den tarpejischen Felsen also wirklich, gibt wirklich das Kapitol und die Via Appia, und die römi- schen Kaiser haben ihre Namen In Gebirgen von Ruinen Dauer verliehen: Carctllaund, Nero. Das Rom der reichen Kirche: diese kal- ten Prachtkassettendecken, diese riesigen Marmorengel, die Welhwasserbecken von der Größe von Badewannen halten, das Wappen des Heiligen Stuhls an so vielen Portalen, die Eingänge zu fast unermeßlich großen Gärten mit unermeßlich kostbaren Palästen sind - und die Bettelmönche In schmuddellgen Kutten, die mit Sammelbüchsen von Caf6 zu Caf6 gehen, alles die eine, dieselbe Kirche; lauter erste Blicke auf irgend etwas, das römisch, nur römisch ist; Rom ist die Heimat eines der miß- verständlichsten Eigenschaftswörter, und alles, was man mit einem ersten Blick dort sieht, ist römisch; die Kellner sind's und die Kinder, die Kirche ist es und die Ruinen des Imperlalen Rom; das Denkmal Viktor Emanuel und Fran- ziska Romane, die heilige Römerin, Schwester unzähliger Römerinnen. Bei vielem wird der erste Blick auch der letzte sein: beim scheinbar Zufälligen; dem Kellner, der uns in einer Trattoria vor Rom den Weg zu unserer Pension erklärte: Er ging dreimal den weiten Weg vom äußersten Ende der Terrasse ins Innere des Hauses. Das erste Mai, um eine Karte, das zweite Mal, um einen Bleistift und dann lächelnd das dritte Mal, um seine Brille zu holen - und ich wußte sofort, daß ein Trink- geld Ihn sehr tief verletzt hätte. Der Installa- teurlehrling, der in einem Friseurealon den Glaskasten fallenließ, den er mit seinem Meister In die Wand einmontieren sollte. Flaschen und Tuben zerschellten, der Kasten zersplitterte, Parfüms und Haarwasser flossen über den Boden, und ich hatte Angst vor dem Donnerwetter, das über den weinenden Jun- gen jetzt hereinbrechen Würde. Aber der Meister blieb ganz still, er sagte Irgend etwas, etwas, dasSo was kann ja passieren" heißen mochte und fing an, den Jungen zu trösten, der schluchzend In der Ecke stand, während die Friseure seelenruhig weiter elnseiften, weiter mit ihren Scheren schnippeiten und eine Frau mit Besen und Feger die Reste zu- sammenfegte, Ihren Putzlappen mit kostbaren Flüssigkeiten tränkte. Ein erster Blick auf Rom. Die scheinbare Regellosigkeit der Auto- fahrer, die den ungeschriebenen mehr als den geschriebenen Gesetzen gehorchen, über- raschend in einer Stadt, die die Heimat der Lex ist, daß schlafende Katzen und spielende Kin- der das Recht brechen, auf das man niemals ,pochen" könnte, wenn man rechtens Katzen- schlaf und Kinderspiel störte oder .verkehrs- widrig sich verhaltenden Frauen" Belehrungen erteilen möchte; die römische Straße ist zwar den Autos freigegeben, aber sie gehört ihnen nicht, noch nicht; der <Ritter am Steuer", dieses puritanische Ekel, ist ja nur Ritter, weil er gnädig auf sein Recht verzichtet - für einen Augenblick. Verkehrawidrig - auf den ersten Blick - scheinen in Rom die Autos zu sein, nicht, weil sie die Regeln brechen, sondern weil sie ihrem Wesen nach brutal und asozial sind; kein Wunder, daß es in Rom viel mehr Polizisten als Ampeln gibt: das Recht ist noch nicht automatisiert. Erste Eindrücke bei ersten Blicken; die Vielfalt der Nennen, so vielfältig fast wie die Anzahl der Schmetterlingsrassen. Auf dem Platz vor Sankt Peter flattern sie hin und her, mit schlichten und üppigen Hauben, mit bunten und farblosen Schleiern und ohne einen sol- chen; manche sehen aus wie mittelalterliche Matronen, andere wie spanische Senoritas, sardinische Bäuerinnen und die modernen mit Baskenmütze und weißen Blusen fast wie Schwestern, mit denen man auf Fahrt gehen könnte; und innerhalb der einzelnen Nonnen- rassen die Variation der Hautfarben: gelb, weiß, schwarz und kupfern wie Winnetou. Alles erste Blicke am ersten Tag; mit jedem Blick etwas Römisches - und wieviel Blicke tut ein Auge täglich?
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