Page View
Aufwärts
Jahrgang 8, Nr. 20 (September 29, 1955)
Stuckmann, Heinz
Deutschland, Deutschland über alles, p. 8
Page 8
die in etwa unserer SPD entspricht und die Bevölkerung auffordert, Nein zu stimmen. Die Versammlung ist im Ort Altenwald (etwa 3000 Einwohner), Lokal <Zur Sonne'. .Da sind Sie schon eine Ortschaft zu weit', erklärt mir der Arbeiter am Straßenrand, den Ich nach der .Sonne» frage. Er erklärt weit- läufig und umständlich den Weg und fragt: .Kommen Sie aus dem Reich?' - Wie bitte?" frage ich zurück. Aber noch ehe er antworten kann, ist bei mir der Groschen gefallen: Er spricht vom Reich, vom alten Deutschen oder Großdeutschen Reich.<Ich komme aus der Bundesrepublik', antwortete ich betont. Der Mann sieht mich und meine Baskenmütze sehr interessiert an und geht grußlos weiter. system sei zumindest so schlimm wie das der Gestapo. (Hat er auch 5 Millionen jüdische Mitbürger vergast?) Alsdann erfahre ich, was die Franzosen für üble Burschen sind: Die Ubergriffe der Be- satzungsmacht habe doch noch jeder in Er- innerung. Von Oradour war nicht die Rede... an die Maschine, um die gewohnte Arbeit zu tun! Ach was, bringen wirs schnell hinter uns. Und nochmals: Entschuldigungl Da fölt mir noch ein, daß ich gestern mit dem .Auwärts telefoniert habe, um zu erahren, wie es mit Sunserem Plan' steht. Die Dinge entwickelten sich gut, wurde mir gesagt. Aber noch sei nicht alles entschieden, und .man müsse daher mit der Berichterstattung tunlichst bis zum näch- sten <Aufwärts warten. Freundliche Grüße aus dem Urlaub - an Stelle von Postkarten- grüßen - von eurem Thomas. Männer benachtellir Jetzt ist mal wieder das Thema .Gleichberech- tigung aufgetaucht, aber unter umgekehrten Vorzeichen. Aus Karlsruhe schreibt uns Peter SchIrrmacher: SDie Frauen haben sich In den letzten Jahren die sogenannte Gleichberechti- gung erkämpit. Oder besser, einige Frauen sind dafür eingetreten, und die Unterstützung der Mnner hat sie dann an ihr Ziel gebracht. Was aber Ist der Erfolg dieser sogenannten Gleichberechtigung? Die Männer sind nun noch mehr als bisher benachteiligtil Die Frauen haben jetzt auch jene Rechte in der Gesell- schaft, die den Männern vorbehalten waren, weil sie ja In der Regel diejenigen sind, die durch ihre Arbeitskraft die Frau mit ernähren und unterhalten. Jetzt sind diese Rechte keine Vorrechte der Männer mehr, obwohl sie Im Normalfall auch weiterhin ihr ganzes Leben lang für eine Frau mitarbeiten müssen, Komme mir niemand und spreche von Gleichberechti- gungl Unsere ganze Gesellschatsordnung ist doch daraul abgestellt, daß im Normalfall der Mann die Frau bedient und ihr die »Wünsche von den Augen abliest«.« *Mein lieber Peter, du hast das Zeug zu einem Junggesellen in dir. Aber du bist ja noch jung. Und wenn dir mal erst die SRichtige' begegnet, dann wird sie dich gewiß in kurzer Zeit besser belehren, als ich es heute tun könnte. Doch ein paar Worte kann ich mir nicht verkneifen: Deine Meinung ist nicht nur theoretisch falsch - unter anderem kann man die Fortschritte einer Gesellschaftsordnung an den Fortschritten der Beziehungen der Ge- schlechter zueinander messen -, sondern sie wird auch durch die Praxis widerlegt. Wo es tatsächlich so ist, daß der Ehemann allein den Unterhalt für die Frau und Familie durch seine Arbeitskraft aufbringt, dort leistet doch die Frau im Haushalt produktive Arbeit, die für das Familleneinkommen, für den Haushaltetat, von großer Bedeutung ist. Wie bist du bloß zu der Auflassung gekommen, daß die Frau .Im Normalfall' ein Drohnendasein führt? Und was das SBedienen' und die SWünsche' der Frau beotrifft:.Ware mal ab» bis du vwirklich Kilometer in den Urtscatten große Plakat- tafeln. Uber dem Kopf jeder Tafel steht: CVP DPS DSP CDU SPS NEI KP Das sind die Namen der Parteien, die mir vorerst nichts besagen. Auf den darunterhän- genden Plakaten wird die Bevölkerung mit ebenso nichtssagenden Texten aufgefordert, für Ja odbr für Nein zu stimmen. Auf vielen Ta- feln beherrscht der photogene Kopf des deut- schen Bundeskanzlers die Fläche. Das will Dr. Adenauer: Jal" heißt es auf den Plakaten der CVP. ,Das will Dr. Adenauer: Nein!' schreit es von den Plakaten der CDU (Saar) ungeachtet dessen, daß der Kanzler ja nur eines von beiden wollen kann. Was Dr. Aden- auer wirklich will, hat er vor den hessischen Landtagswahlen auf dem Frankfurter Messe- gelände gesagt: <Wer gegen das Pariser Saar- abkommen ist, hat es entweder gar nicht ge- lesen - und das sind die meisten - oder er ist nicht besonders beim Heiligen Geist ge- wesen, als er auf die Welt kam,... + «Der Dicke muß weg', steht mit weißer Öl- farbe kurz hinter St. Wendel auf der Straße nach Neunkirchen. SDer Dicke', das ist Johannes Hoffmann, Ministerpräsident des derzeitigen Saarlandes und Chef der christ- lichen Ja-Partei, der CVP, wie sich die .Christ- liche Volkspartei» abkürzt. Die CVP ist seit vier Jahren Regierungspartei und hält 29 von den insgesamt 50 Abgeordnetensitzen im Saar- brücker Landtagsgebäude besetzt. Und Sder Dicke' ist es, den alle Nein-Sager für sämt- liche Mißstände an der Saar verantwortlich machen. Aber darauf kommen wir später. + .So, Sie sollen Berichte schreiben für die Zei- tung', staunt ein Bekannter.SDann vertreten Sie hoffentlich die deutsche Sache gut', mahnt er. Was weiß ich von der deutschen Sache an der Saar? Was weiß ich überhaupt von der Saar? Ich wohne in Köln, und von dort ist es sehr weit zur Saar. Was ich von der Saar weiß, habe ich im Atlas und im Lexikon gelesen: Das Saargebiet hat eine Fläche von 2567 qkm. Es wohnen 971 000 Menschen dort. Hauptstadt ist Saar- brücken (111 600 Einw.). Sonstige größere Städte: Neunkirchen: (42400), Völklingen (409M0), SaarlouIs (31 300). In einer guten Stunde kann man das Saargebiet mit dem Auto durchfahren - sowohl von Westen nach Osten wie von Norden nach Süden. Rechts und links von der Straße sieht man abwechselnd Wälder und Hochöfen, Acker und Föirdertürme. Und ein Becileiter sat. Fast vergessen Helga Sauermann in Frankurt am Main schreibt: .Mir Ist vor kurzem ein ganz altes Buch mit dem Titel »Die Epigonen« von einem Dichter Immermann in die Hände gefallen. Ich habe es nicht fertiggebracht, diesen Roman zu Ende zu lesen. Aber es interessiert mich doch, etwas über Immermann zu erfahren.' t heute last vergessen, der Dichter Karl nann. Er lebte von 1796 bis 1840, war rhn eines Magdeburger Beamten und selbst auch Beamter. Von 1835 bis 1838 in Düsseldorf als preußischer Land- ;rat und zugleich als Leiter eines heaters gewirkt. Seine Bücher und i standen im Zeichen einer Mischung eußscher Pedanterie und schwörmerl- .Die Baskenmütze würde ich abnehmen', meint ein anderer Bekannter an der Saat. SDas sieht so frankophil aus. Ich verstehe nicht, was meine Baskenmütze mit der Ab- stimmung an der Saar zu tun hat. Ich trage sie, weil sie überaus praktisch ist. Ich würde sie auch tragen, wenn sie nicht von den Fran- zosen, sondern von den Kaffern käme. Mein Bekannter gibt nicht nach: SIch würde sie zu- mindest abnehmen, wenn ich zu den Vor- sitzenden der deutschen Parteien oder auf deren Parteibüro ginge. Es ist sonst sofort Mißtrauen da. Ein Deutscher trägt hier nicht solche Kopfbedeckung.' (Unter uns: Ich habe in den nächsten Tagen meine Baskenmütze mehrmals im Wagen gelassen. Und es war besser so. Das ist die Saar im September 1955, Zweimal verfahre ich mich noch in dem klei- nen Ort, dann höre ich schmissige Marsch- musik. Aus dem Saal der <Sonne' klingt laut und zackig der <Hohentriedberger'. Ich frage, ob ich richtig sei: Ich suche die sozialdemo- kratische Versammlung. Ja, da sei ich schon richtig, antwortet man mir, und ich möge nur eintreten. Der Mann am Eingang verteilt Flugblätter. Sie sind von der CDU.SDas ist jetzt nicht so wichtig', erklärt man mir auf Anfrage. SAuf das Nein kommt es jetzt an.' Von der Bühne leuchten mir die Farben der Bundesrepublik entgegen. In der Mitte - etwas im Hintergrund - hängt eine große rote Fahne mit weißem <DSP'. Plakate an allen Wänden verkünden: Die Saar bleibt deutsch! 400 Stühle warten auf Besucher. Der SFidericus Rex« wird vom Beifall über- tönt. Der gilt aber nicht dem Großen Fried- rich, sondern einem blassen Mann mit Halb- glatze und Hornbrille, der um 20.10 Uhr in den Saal kommt: Kurt Conrad, der 1. Vor- sitzende der DSP. Der tritt dann zehn Minuten später vor seine 308 Zuhörer und einen gelangweilten Saarpolizisten und sagt:.SIch freue mich, Sie hier so zahlreich begrüßen zu können. Hier zeigt sich wieder einmal, daß wir es nicht nötig haben, unsere Versamm- lungsteilnehmer mit Omnibussen von weither heranzuschleppen, wie das bei den Transport- Europäern des Herrn Hoffmann üblich ist.' Alsdann erfahre ich von Herrn Conrad, daß der ehemalige Justizminister des Saarlandes, Dr. Heinz Braun, ein ganz übler Bursche ist: Während die anständigen Deutschen von 1939 bis 1945 ihr Vaterland verteidigt haben, hat Herr Braun an einem alliierten Soldatensender gesessen. Ja, so was ... Alsdann erfahre ich von Herrn Conrad, daß der Innenminister des Saarlandes, Dr. Hector, ein noch üblerer Bursche ist: Sein Spitzel- das Blatt gewendet. Ich höre (und glaube nicht recht zu hören): .Wir wehren uns gegen die Behauptung, w i r wären nur immer in den letzten Jahrzehnten in fremde Länder eingedrungen. Wie oft kamen denn die Franzosen nach Deutschland?" Ich höre: .Frankreich macht den Versuch, hier an der Saar eine neue Kolonie zu gründen.' Ich höre: SDen Franzosen geht es weniger darum, sich mit Deutschland zu vereinigen, sondern darum, hier die Vorherrschaft zu behalten.* Ich höre nicht: wie das mit dem Saar-Statut ist und weshalb die Zuhörer es am 23. Oktober ablehnen wollen. Und deshalb bin ich doch eigentlich gekommen und - so nehme ich an - die Zuhörer doch wohl auch. SWir wollen die zehn Nachkriegsjahre ver- gessen und dann neu beginnen. Wir sind bereit, mit Frankreich in gute Beziehungen zu treten. Wir sind aber nicht bereit, ihm weiter die Kohle zu geben, die es sich einfach hier holt!' heißt es nach zwei Stunden 35 Minuten am Schluß der Rede. Das ist immerhin etwas. Aber wie stellt Kurt Conrad sich das im ein- zelnen vor? Das höre ich nicht. Statt dessen höre ich das Deutschlandlied. Der Versamm- lungsleiter hat ausdrücklich um, die dritte Strophe gebeten. Alle singen die dritte Strophe. Dann geht man zum Spätschoppen, und ich frage meinen Nachbar (sicherheits- halber) noch einmal: SDas war doch eine sozialdemokratische Kundgebung? - .Ja', sagt der, Sdas war eine sozialdemokratische Kundgebung. Warum?* Das kann ich dem Mann schlecht erklären, wenn er es nicht selber merkt... Im nächsten Heft Fortsetzung Gewissen und Wehrdienst Fortsetzung von Seite 4 Aus dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz und der Gleichbehandlung aller Staats- bürger (Art. 3 GG) wird von der Regierungs- seite dieio rdeIrunanacrh Pinfiihnrn einar dennoch, so würde er somit doch bezeugen, daß er den Kriegsdienst als sittlich erlaubt anerkenne. Dadurch würde der. Kriegsdienst- verweigerer sich selbst das Recht absprechen, den Kriegsdienst zu verweigern. Dem Argument der Regierung, daß damit die Kriegsdienstverweigerer entgegen Artikel 3 des Grundgesetzes vor ihren Mitbürgern, die ihrer Wehrpflicht genügen, bevorzugt würden, hält die Opposition entgegen, daß ja jede ,allgemeine' Wehrpflicht, die nur den männ- lichen Teil der Bevölkerung zur Unterbrechung seiner Berufsausbildung und zum Erleiden psychischer, physischer und materieller Schä- den zwinge, notwendigerweise einen Verstoß gegen den verfassungsmäßigen Gleichheits- grundsatz des Artikels 3 beinhalte. Die Opposition erklärt aber, daß sie selbst- verständlich bereit sei, der Gemeinschaft Dienste zu leisten, die wirkliche Not lindern, soziale Spannungen beseitigen und so dem Frieden und der Völkerverständigung dienen. Dieser Frledensdienst braucht nicht national begrenzt zu sein (Beispiel: der Internationale Jugendgemeinschaftsdienst) und sollte mög- lichst dem Machtbereich des Staates entzogen undI ICFrn.rsch'ften iunterstellt werden, die AuulwsB 1 wegl - Mit Konrad Adeauer für JA */Mit Konrad Adenauer für NEIN -*EsIst#schwe, sichauzkne Hinter Birkenfed kommt der deutsche Zol. Der Beamte schaut kur in den Paß. Er sagt: ,Gute Reise' und grüßt militärisch, Ich darf weiterfahren. Vor Nohtelden kommt der französische Zoll. Man muß vorlegen; den Reisepaß, ein Triptyk für den Wagen (Kosten: DM 24.--) und eine Devisenbescheinigung. Man wird in Listen eingetragen und muß Koffer öffnen. Man inter- essiert sich für meine Schreibmaschine und noch mehr für meinen Beruf. Nach zwölf Nfinuten darf ich weiterfahren - ins Saar- gebiet. Es sieht nicht sehr hoffnungsvoll aus mit dem neuen Europa.
This material may be protected by copyright law (e.g., Title 17, US Code).| For information on re-use see: http://digital.library.wisc.edu/1711.dl/Copyright