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Aufwärts
Jahrgang 4, Nr. 18 (September 8, 1951)
Ugarte, Manuel
Giovanni, pp. 10-11
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Aber sein Herz krampfte sich vor Angst zusammen, und die ¸brigen, die seine Unbeholfenheit durch- schauten, machten sidc Ober ihn lustig. MANUEL UGARTE ß7(4 A " i vanni ¸brig. Der Farmer Ramirez kaute an seinem Schnurrbart. .Was hat Giovanni heute gemacht?" fragte er, zum Aufseher gewendet. Der Indianer z–gerte einen Augenblick, als ahnte er, daþ seine Aussage das Schicksal des Ungl¸ck- lichen besiegeln w¸rde... .Sprich!" dr"ngte der Herr in barschem Ton. .Na also, da es ihm Spaþ macht, allein zu sein, gab ich ihm einige Ger"te zum Aus- bessern, und er saþ hier auf der Veranda, nahe der Haust¸r. Aber ich glaube nicht, daþ er es war', beeilte er sich groþm¸tig hinzuzuf¸gen, um nicht einen Unschuldigen zu belasten. Ramirez lieþ Giovannis Taschen durchsuchen, und da nichts zu finden war, befahl er, ihm die H"nde zu binden und der Dorfwache der n"chsten Ortschaft einzuliefern. Der Auf- seher und ein zweiter Tagel–hner z"umten die Pferde, die drei Tiere setzten ¸ber den Zaun und sprengten ¸ber die endlose Ebene dahin. W"hrend des f¸nfst¸ndigen Rittes gab sich Luna M¸he, Giovanni zu tr–sten, sagte ihm, daþ alles in Ordnung kommen werde, daþ er sich nicht beunruhigen m–ge und daþ man ihn, wenn sich seine Unschuld herausstellte, bald in Freiheit setzen werde. Aber der Mensch war so niedergeschlagen, daþ er sich kaum im Sattel halten konnte. Als er sich im Kotter sah, brach er in Tr"- nen aus. Und nachdem sich sein Weinkrampf gelegt hatte, begann er das Grauenvolle seiner Lage zu ¸berdenken. Er war allein und unbekannt, in einem fremden Land, ohne eine Vergangenheit, die zu seinen Gunsten sprechen, oder einen Freund, der ihm als Leumund dienen konnte. Die Kon- suln seines Landes lebten in den St"dten, weit, weit von der Pampa . . . Was sollte in dieser Not aus ihm werden? Er begriff seine Machtlosigkeit vor der Lawine der Gesetze, der Beh–rden, der ihm drohenden Strafe. Vom Verbleib des Schmuckes hatte Als Giovanni sich mutterseelenallein in dem weltentlegenen Dorfe fand, dessen Be- wohnerschaft zum gr–þten Teil aus India- nern bestand, glaubte er allen Ernstes, seine letzte Stunde sei gekommen. Was man ihm in Europa ¸ber Amerika erz"hlt hatte, die Drangsal der langen Uberfahrt, die F"hrlich- keiten der Ankunft, das nat¸rliche Unbe- hagen, das die ver"nderte Umgebung ver- ursachte, und der Eindruck, den die unge- wohnten Sitten und das neue Leben erweck- ten, versetzten ihn in einen Zustand der Benommenheit, der bald in Verwirrung und Taumel ¸berging. Er war bei seiner An- kunft auf alles gefaþt. Das Elend daheim auf den neapolitanischen Feldern war so bitter gewesen, daþ ihn jenseit des Ozeans nichts Ÿrgeres erwarten konnte. Aber was er nicht vorausgesehen hatte, war das schreckensvolle und befremdende Leben der Pampa, die beklemmende Stille ihrer N"chte und vor allem das verwegene und bedrohliche Aussehen der ihn verachtenden Indianer, die ihre langen, scharfen Messer am Stiefelschaft abwischten. Die gr–þte Angst fl–þten ihm die Tagel–h- ner der Hazienda ein, wo er Arbeit fand. Mit groþm"chtigem Argwohn begegnete er diesen verrohten Raufbolden, die sich auf Schritt und Tritt in sinnlose Balgereien ein- lieþen, herausfordernd um sich blickten und tausend Kraftausdr¸cke bereit hatten, um dem Ank–mmling eins aufs Zeug zu flicken. Er mied sie, wo er nur konnte. In den Stunden der Rast entfernte er sich allein, durchstreifte ziellos die Heide, sich jeden Augenblick nach vermeintlichen Verfolgern umsehend. Und bei alledem war Giovanni nicht feig. Aber seine Bangigkeit und seine von der Aufregung zerm¸rbten Nerven ver- vielfachten und ¸bertrieben die Gefahr. Zu- dem f¸hlte er sich gedem¸tigt in dieser Umgebung, wo man ihn einen Hergelaufenen nannte und nicht f¸r voll nahm. Geradezu mit Schrecken erf¸llte ihn Luna, der Auf- seher, ein r¸hriger Geselle, der auf ren- nende Fohlen sprang und mit der bloþen Gewalt seines Lassos den Lauf der Stiere hemmte. Das kam davon, daþ Luna, sooft er mit Giovanni zusammentraf, ihm die Hand auf die Schulter legte, ihn vertraulich am Kinn zupfte und ihn in der Mundart der Gauchos mit einer Flut von Zoten ¸ber- sch¸ttete, die die anderen mit schallendem Gel"chter begleiteten. Giovanni begriff, daþ man das als Spaþ aufnehmen m¸sse und lachte mit. Aber sein Herz krampfte sich vor Angst zusammen, und die ¸brigen, die seine Unbeholfenheit durchschauten, mach" ten sich ¸ber ihn lustig. So w"re es wer weiþ wie lange weiter- gegangen, wenn nicht dem Grundbesitzer eines Tages einige Schmuckst¸cke abhanden gekommen w"ren. Es scheint, daþ an einem Nachmittag, den er im ¸blichen Tagewerk auþer Haus verbrachte, einige Ringe von geringem Wert aus seinem Schlafzimmer verschwanden. Das gen¸gte, um die ganze Besitzung in Aufruhr zu versetzen. Der Herr schlug L"rm, befahl alle Leute zu sich und ging inmitten der allgemeinen Best¸rzung daran, an die einen und die anderen mit Drohungen und Fl¸chen untermischte Fra- gen zu stellen. Der Aufseher und ein groþer Teil derTage- l–hner konnten sich bald vom Verdacht be- freien, weil sie den ganzen Nachmittag unter der Aufsicht des Gutsbesitzers gear- beitet hatten. Er erkannte sie, nannte sie beim Namen und lieþ sie beiseite treten. Von den ¸brigen hatten sechs den Tag im Maisfeld verbracht, das, ein gutes St¸ck entfernt, an der Grenze des Besitzes lag, und zwei andere, die man tags zuvor in die benachbarte Stadt geschickt hatte, waren noch nicht zur¸ckgekehrt. So blieb nur Gio- er keine Ahnung. Wie sollte er aber seine Unschuld beweisen? Die Anstrengung, diese Gedanken loszuwerden, st¸rzte ihn in fie- bernde Verzweiflung. Als ihm der Aufseher nach einer Woche Kleider und Trost brachte, dr¸ckte ihm Giovanni krampfhaft die Hand. Er f¸rchtete sich nicht mehr vor den In- dianern. Luna und die anderen Gauchos waren wild und rauflustig, aber im Grunde treuherzig. Jetzt zitterte er vor den Ver- tretern der hohen Gerechtigkeit, die ihn ohne Beweis, ohne Anhaltspunkte beschul- digt und ins Loch gesteckt hatten. Nachdem der Aufseher gegangen war, versank Gio- vanni in seinen fr¸heren Tr¸bsinn. Nach wenigen Minuten trat ein Diener der Ge-
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