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Aufwärts
Jahrgang 4, Nr. 5 (March 10, 1951)
M. K.
Der schwarze Gentleman, p. 10
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In Amsterdam gab es einen Zirkus, ein groþ- artiges Haus. Alle Fenster und Tore schauten auf die Amstel hinaus, auf der sich Tag und Nacht Schiffe wiegen. Das ist nun schon gut zehn Jahre her, Bruder; der Zirkus hieþ Carre - ich weiþ nicht, ob er noch da steht mit seinen breiten Fassaden. Aber er wird ja nicht in den Fluþ gesunken sein, und so lohnt es sich vielleicht, die Geschichte zu er- z"hlen. Also, wir tanzten dort im Chor du ballet', f¸nf M"dchen und ich. Ich war Artist aus Uberzeugung, niemals lange an einem Ort, vierzehn Tage hier und eine Woche dort. Es war September, als wir in Amsterdam an- kamen. Die Stadt war bewimpelt, an den Fahrzeugen hingen Girlanden und gelbe F"hnchen, an jeder Straþenecke spielte eine Drehorgel, und alles, was Fr–hlichkeit in den Knochen hatte, tanzte dazu. Uber die Grach- ten spannten sich Bogen von orangefarbener Seide, und abends waren alle Br¸cken, T¸ren und Fenster illuminiert. Es war wie im M"r- chen, denn die K–nigin feierte Regierungs- jubil"um. Br¸derchen, wir rissen die Augen auf; ¸berall gab es Buden mit W¸rsten und Kuchen und Wein, Obst und Rahm, soviel du haben wolltest, und gar nicht teuer! Wir schlenderten durch die Straþen und sangen das Ende des holl"ndischen Matrosenliedes mit, ,Ho-ho-ho-ho-ho!', weiter konnten wir nicht, weil wir nicht Holl"ndisch sprachen. Die Matrosen faþten uns bei den H"nden, und wir rannten kn–cheltief durch Konfetti und bunte Papierschlangen. Aber kaufen konnten wir nichts, klar: denn wir waren so arm, daþ wir von unserer Gage gerade Quartier bezahlen konnten. Dann blieb nur noch das Geld f¸r die Heimreise ¸brig. Unser Quartier: eine Artistenpension zweiten oder dritten Grades! Sie hatte geklebte W"nde, die wackelten, wenn wir zum Spaþ mit dem Finger daran stieþen. Wir schliefen alle zu- sammen in einer Stube, immer zwei und zwei in einem Bett, mit Ausnahme von Rinka, die aus einer ber¸hmten Artisten- familie stammte und vornehmer wohnte als wir. Einmal saþen an unserem Fr¸hst¸ckstisch im Eþraum f¸nf Neger. Sie waren eine Jazzband. Drei kamen aus dem fr¸heren Kamerun, einer aus Spanisch-S¸damerika und einer aus dem Staate Carolina. Ihr H"uptling hieþ Harry Cofie, ein Kerl wie ein Baum, kaum durch die T¸r gehend, mit rotge"derten Augen und einem wulstigen Maul. Ich konnte etwas Englisch quaken, vier der russischen M"dchen sprachen Franz–sisch - es ging, wir konnten zusammen reden, brauchten nicht an einem Tisch zu sitzen und uns wie wilde Tiere anzustarren. Am dreizehnten Tage (warum hatte ich auch den Dreizehnten gew"hlt, ich h"tte das als Artist wissen m¸ssen!) klopfte ich bei der Herbergswirtin: Morgen fr¸h fahren wir in die Heimat zur¸ck, und wir bitten um die Rechnung. Ich hatte absichtlich in einer ge- wissen vornehmen Art gesprochen. Wenn wir auch vor jeder Kuchenbude hungerten - farewell, Mylady Cromwell, wir konnten unsere Rechnung bezahlen! Die Dame gab mir die Rechnung, und ich sah sie durch: Sie ging in Ordnung. Ich lieþ mir das Geld der M"dchen geben, tat das meine dazu und addierte es kreuz und quer. Aber es war der Dreizehnte und nichts zu "ndern: Es fehlten zw–lf Gulden an der Rechnung. Und wenn uns der liebe Gott pers–nlich zw–lf Gulden in die Hand ge- dr¸ckt h"tte, so h"tte immer noch das Reise- geld gefehlt f¸r sechs erwachsene Personen. Ich st¸rzte die Treppe hinunter. Im Eþzim- mer saþen die M"dchen mit den Negern beim Abendbrot, aþen Fische und spuckten die Gr"ten neben und hinter sich. Als ich eintrat, fingen sie an, vor Kummer und Ver- legenheit zu lachen, was sollten sie Besseres tun! Es war nun so, daþ Lou f¸r ihre Mutter einen Holl"nderk"se von drei Kilo und einen Wecker gekauft hatte, Rita drei Fla- schen Pariser Parf¸m, Slava ein Paar Lack- schuhe, Rinka Seife und Seidenstoff f¸r ein Kleid - es war noch viel mehr; sie hatten auch heimlich Kuchen mit Rahm gegessen, gew¸rfelt und ganze Kr"nze von W¸rsten verspeist, w"hrend ich im Bett gelegen und ,1 love you, Freedom!" gespielt hatte. Kurz und gut, das Geld war weg! rBon!' sagte ich kalt, jetzt sitzen wir mor- gen im Hafengef"ngnis. Ich hoffe, ihr seid euch dar¸ber klar? Wir k–nnen uns ja auch auf ein fremdes Schiff anheuern lassen, und ihr werdet in Marokko an Zuluh"uptlinge verkauft.' Es war gegen drei Uhr nachts, als wir in unser Schlafzimmer hinaufgingen. Ich wun- derte mich, daþ im Eþzimmer noch Licht war, –ffnete die T¸r und trat ein. Hilf, Himmel, Bruder, da saþ der H"uptling am Tisch, Harry Cofie. Er hatte auf mich gewartet die ganzen Stunden. Jetzt streckte er mir die schwarze Hand entgegen und fragte mich auf Englisch, warum wir so traurig w"ren. äTraurig -?' Doch: wir h"tten so gelacht, als ob wir traurig w"ren. Ach, ich war ein solcher Narr, ich sch"mte mich wieder, wollte nichts er- z"hlen. Cofie schwieg, und ich sah ihn an: Das Weiþe seiner Augen wurde langsam dunkelrot, dann feucht. Ich schw–re es dir, der H"uptling kriegte Tr"nen in die Augen vorMitgef¸hl und Hilfsbereitschaft. Auf ein- mal sagte er: ¢Ballerino, warum willst du mich anf¸hren, wo mir das hier' - und er schlug sich auf das Herz - "sagt, daþ ihr traurig seid. Ich will euch doch helfen!' "Wir haben kein Geld", sagte ich in meinem miserablen Englisch. "Wir k–nnen die Rech- nung nicht bezahlen. Und das Reisegeld auch nicht. Klar -?ã Cofie nickte, trommelte auf den Tisch, dann stand er auf und ging hinaus. Ich blinzelte, denn ich wuþte, daþ er nicht viel mehr hatte als wir: er hatte mir am Vormittag seine Gagenrechnung gezeigt. Gut. Der H"uptling ging. Es dauerte kaum eine Viertelstunde, da kam er wieder und legte einen Briefumschlag vor mich hin. Als ich ihn –ffnete, lag ein Zettel darin mit freundlichen Gr¸þen aller Neger und mit so viel Gulden, daþ wir nach Hause und wieder nach Amsterdam zur¸ck h"tten reisen k–nnen. Als ich mich nach dem H"uptling umdrehte, war er schon weg. Lautlos war er die Treppe hinaufgeglitten und in seiner Schlafkammer verschwunden. Seit der Zeit weiþ ich: Wir sind alle Kinder einer Erde, Br¸der einer Liebe, Wanderer einer Straþe. Wir sollten Achtung voreinan- der haben, schwarze, rote, gelbe und weiþe Menschen, eine groþe Gemeinschaft. Einer meiner Lehrer war ein Kamerun- neger: Er heiþt Harry Cofie. Ehre ihn, wenn du ihm begegnest! M. K.
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