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Aufwärts
Jahrgang 4, Nr. 13 (June 30, 1951)
Biedorf, Wilhelm
Fahrt durch Flandern, pp. 10-[11]
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"Achtung!' rief Veran und machte f¸nf Schritte auf den Stier zu. Er vollf¸hrt einige Passagen mit dem Mantel ¸ber seinem Kopf und l"þt den Stier an sich vorbeisausen. Der erste Beifall erscholl. Jetzt trat Jules mit seinem weiþ und rot ge- fleckten Sonnenschirm auf den Plan, schoþ auf ihn zu und h¸pfte auf breit gestellten Beinen wie ein Frosch um ihn her, daþ der Zylinder auf seinem Kopf tanzte. Der Stier, unschl¸ssig, wohin er sich wenden soll, dreht sich im Kreise. Im gleichen Augenblick taucht in den H"nden Jeans ein zweiter Sonnenschirm auf, vollkommen rot, wie in Odcsenblut getaucht, und so leuchtend, daþ er den Augen wehtut. Jean nimmt ihn ¸ber die Schulter wie eine Dame, die spazieren- geht, und kaum hat der Stier ihn erblickt, als er wie rasend darauf zust¸rzt. Jean fl¸chtet, er verwickelt sich in den Falten seines Frauenrockies und stolpert zu Boden. Der Schirm f"llt zur Seite, und der Stier geht ¸ber Jean fort. Ein allgemeines Gel"chter schallte wie ein Platzregen durch die Arena, w"hrend Jean, den ein Huf des Stieres getreten hatte, hinkend und vollkommen mit Staub bedeckt, sich wieder erhob. Planton und ich waren zuruck in das Kampf- feld getreten und folgten aufmerksam den Bewegungen Jules. Eine Weile sp"ter blieb lean, noch keuchend, neben mir stehen. ,Bitte, halte mir einen Augenblick den Schirm.' .Gern.' -- Ich nahm den Schirm in die Hand, der wie ein riesiger Fliegenpilz aussah. Da merkte ich, daþ ich v–llig allein mitten in der Arena stehe, alle haben sich hinter die h–lzerne Umz"unung zuruckgezogen, offen- bar haben sie sich verabredet. Meint ihr, ich f¸rchte mich? Aber ich hatte nicht Zeit, dar¸ber nachzudenken. W¸tend lief der Stier auf mich zu, als wenn gerade dieser rote Schirm seinen besonderen Arger erregte. Ich hielt ihm das kleine aus- gespannte Schirmdach wie einen Schild ent- gegen, w"hrend ich selber im letzten Augen- blick beiseite sprang. Die Menge brach in ein lautes Klatschen des Beifalls aus. äAusgezeichnet! Recht so! Noch einmal!' "Wer ist das? Ein Deutscher?... Hoch der Deutsche!' Der Stier hatte sich umgedreht und "ugte zu mir hin¸ber. Noch immer stehe ich allein in der Arena. Der weiþe, sandbestreute Platz glitzert in der Sonne wie ein Spiegel. .Bravo, Kamerad!' fl¸sterten Jules und Veran, die mir ¸ber die Br¸stung hinweg lachend zusahen. Immer vor die Augen!" K¸hn geworden, n"herte ich mich dem Stier und schwenkte den Schirm durch die Luft. Er hatte einen langen h–lzernen Stiel, und auch mein ausgestreckter Arm ist kein Daumen, ich konnte fast ruhig an meinem Platze stehen, w"hrend das Tier mit gesenk- tem Kopf, der roten Farbe folgend, ein zweites Mal an mir vor¸bersaust. -_Z, J .-- , 1: -1\ -ã ä-7.0~~~~~~~~~ ," "Vive, Armain!" Jules klatschte laut in die H"nde. Aber als ich die gleiche Wendung ein drittes Mal wiederholen will, bin ich der h–lzernen Umz"unung so nahe gekommen, daþ der Stier mich an die Wand zu dr¸cken droht. Den Schirm ¸ber die Brustung wer- fend, springe ich im letzten Augenblick in einer hohen Flanke ¸ber den Zaun. Ich glaubte, daþ aller Ruhm nun vor¸ber w"re. aber gerade diesmal wollte der Beifall nicht enden. ,Bravo! Bravo! Gib's ihm! Mfis a mort!' schrie die Menge. "Hoch, hoch! Der Deutsche soll leben! Vive l'Allemand audacieux!" Viele haben sich von ihren Pl"tzen erhoben. Man trampelt, jauchzt, die gelben Strohh¸te der M"nner, die bunten Frauenkleider, die Sonnenschirme, das alles schwankt auf den Stufen des Amphitheaters unter den Kl"ngen der Musik in einem Sturm der Begeisterung auf und nieder wie die Bl¸ten und Halme eines vom Winde bewegten Sommerfeldes bis oben in die h–chsten R"nge der Arena, wo die Straþenkinder wie Grasb¸schel in den Mauerspr¸ngen h"ngen. Der Beifall berauschte mich. Ich zog meine Jacke aus, h"ngte sie ¸ber den Zaun. Ich wischte mir den Schweiþ von der Stirn. Veran reichte mir seinen ioten Mantel, und ich trat wieder in die Arena, aber die Menge schrie: "Nein, nein, den Schirm!... Ombrelle! Om- brelle!" - Ich wollte mich wieder an die Arbeit be- geben, aber gleich darauf gab der Pr"sident das Zeichen, der Stier wurde abgef¸hrt. Jules kam strahlend auf mich zu. Einige H¸te flogen neben mir auf die Erde. Veran hob sie auf und warf sie zur¸ck unter die Menge. "Jetzt die Kokarden! Die Kokarden! Ach- tung, es gilt!" Die langen Schnurrbartenden Plantons gerieten in Schwingung. äEs gibt drei Preise, Kameraden! Zwanzig, f¸nfzig und hundert Franken." .,Die Kokarden!' schrie Veran. "Nehmt euch zusammen.' Der Kampf strebte seinem H–hepunkt zu. lules, Henri, alle anderen sprangen in die Arena und stellten sich vor mir an der Seite des Platzes auf. Die Blechtrompete quietschte. In h–chster Spannung blickten wir auf die T¸r des Zwingers. Fortse7zunq filQgt FLA N DE R N Nordeuropas mit ann"hernd 200 000 Ein- wohnern, seine Zufahrten zum offenen Meer sind versandet, sein Rang als Seehafen ist f¸r immer verloren, es hat nur noch 53000 Einwohner. Aber es ist jetzt ein kostbares Erinnerungsmal an eine Zeit, die es offensichtlich verdiente, die gutealteZeit genannt zu werden. Es ist kaum m–glich und es w"re auch Ðberfl¸ssig , die Pracht des Stadthauses, die Wucht des stolzen Belfrieds, die Sch–n- heit des Rosenhutkais zU beschreiben. Seht euch nur die Bilder an, sie sagen viel ¸ber die Aufgabe:' die diese Stadt atch heute noch l¸r Europa und die Menschheit erf¸llen kann, ganz einfach daduir. daþ sie besucht daþ sie bewundert und daþ ihre Geschichte durchdacht wird' . iN hernd 200 000 Ein- sn zum offenen Meer ng als Seehafen ist es hat nur noch ar es ist jetzt ein iil an eine Zeit, die L e, di P gu te alIte Zei t und es ware auch cht des Stadthauses, ielfrieds, die Sch–n- ZU beschreiben. Seht sie sagen viel ¸ber tadt atich heute noch M1enschheit erf¸llen rch. daþ sie besucht, daþ ihre Gescihichte durchdachtEin kuieTads Eine kurze Tages- fahrt kann kei- nen ausreichen- den blherblist bieten ¸ber die F¸lle des Reich- tums, die diesem glucklichen Win- kel unseres Kon- tinents und sei- nen Kunstkam- mnc h noch ver- blieben ist. Aber sie kann halbverschuttete Erinnerungen an fr¸here Besuche auf- frischen, und sie kann dem Besucher, der das Land und seine Wunder zum erstenmal schaut. eineAhnung davon aufd"mmern lassen, daþ Freude und Gl¸ck, Sch–nheit und Er- hebung f¸r die Menschen gesichert werden k–nnen, wenn sie ihre Arbeit den Werken des Friedens widmen. Die R¸ckfahrt nach Br¸ssel f¸hrte an Solda- tenfriedhofen aus zwei Weltkriegen vor- ¸ber. Ein groþer Friedhof hat keine an- gestellten W"rter. Jedes junge M"dchen aus den benachbarten St"dtcien und Dorfern pflegt ein Grab. Wenn es heiratet, gibt es diesen Ehrendienst auf. Er wird dann von einem anderen M"dchen ¸bernommen. Das ist eine Dankespflicht, die von einem Teil der belgischen Jugend freiwillig ubernom- men worden ist. Wir sollten in einer Zeit, die immer noch von Haþ, Selbstsucht und nationalistischem Irrwahn erf¸llt ist, nicht vers"umen, diesen einfachen, r¸hrenden Dienst, den flandrische M"dchen dem w¸rdi- gen Gedenken an tote Soldaten vieler Nationen weihen, mit Anerkennung und Dankbarkeit zu vermerken. Und wir sollten nicht m¸de werden, der Jugend zu sagen, daþ Europa ohne Soldatengr"ber gl¸cklicher und sch–ner w"re. Wir wollen, daþ die Blumengr¸þe junger M"dchen junge M"nner erfreuen, die nicht f¸r die Pseudoideale nationalistischer Hetzapostel sterben m¸s- sen, sondern die f¸r ihr Volk leben und arbeiten k–nnen. Was lasen wir in Br¸gge ¸ber einem edeln, alten Portal: F¸r den Frieden, f¸r die Kunst, f¸r die Wissenschaft und f¸r die Arbeit! WVilheIm Bipdorf .> Y, - -- . "4,
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