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FR I E DR IC H E B E RT 1918, als der erste groþe Weltkrieg zu Ende ging und Deutschland zusammen- brach, hatte das deutsche Kaisertum alles Vertrauen im Volke verloren und muþte abdanken. Um das deutsche Staatsschiff nicht ganz versinken zu lassen, muþten M"nner aus dem Volke das Ruder er- greifen. Einer dieser M"nner war Fried- rich Ebert, ein Sattlergehilfe, der im Dienste der Arbeiterbewegung zu einem ihrer F¸hrer geworden war. Friedrich Ebert war ein Mensch des festen Wollens und des starken Willens. Er war ein K"mpfer f¸r eine bessere Zukunft. Nach 1918 hat er den Verfall Deutschlands verh¸tet und entscheidend zum Aufbau der ersten deutschen Republik beigetragen. Vom Vertrauen des Volkes getragen, wurde er der erste Reichspr"sident des neuen Staates. Sechs Jahre stand er an der Spitze, und unter den schwersten Bedingungen muþte er seine Arbeit tun. Die alte Welt der Abgetretenen, die vor dem Kaisertum buckelten, begegneten ihm mit Hochmut . und Spott, Haþ und Undank. Aber mit W¸rde, unbeirrbar und zielsicher ging Friedrich Ebert seinen Weg. Der ehemalige Sattlergeselle zeigte eine gr–þere politische Einsicht als alle gekr–nten und ungekr–nten Fachm"nner. Doch wurde er im wahrsten Sinne des Wortes in den Tod getrieben. Eine sch"ndliche Hetze warf ihn aufs Kranken- bett. Am 28. Februar 1925 starb er. Friedrich Ebert hat nie vergessen, daþ er ein Arbeiter, ein Sohn des Volkes war. Immer lebte er bescheiden und einfach, und in voller Offenheit bekannte er, wo- her er kam. Daf¸r ist auch das folgende kleine Erlebnis bezeichnend. Ebert als Straþenkehrer Der erste Pr"sident der Deutschen Repu- blik f"hrt nach M¸nchen, um dort offiziell Besuch zu machen. Der bayrische Mini- sterpr"sident Graf Lerchenfeld geleitet ihn in den historischen Saal des alten Rathauses. Eisige Zur¸ckhaltung emp- f"ngt ihn. Er ist mitten im feindlichen Lager. Pl–tzlich entdeckt Ebert das ihm bekannte Gesicht des Staatsrates von Graþmann. Erfreut geht er auf ihn zu und kommt so- fort in ein lebhaftes Gespr"ch mit ihm. Sie sind beide S¸ddeutsche und haben sofort Ber¸hrungspunkte. Herr Dr. Graþ- mann erz"hlt gerade, daþ er in Neuburg an der Donau geboren sei, als Ebert ihm schnell ins Wort f"llt: "Mein Gott, aus Neuburg sind Sie? Da kenn' ich ja jeden Pflasterstein.' - "Woher denn, Herr Reichspr"sident?' -- Ja, wissen Sie, als ich noch als Handwerksbursch auf der Walz' war, bin ich durch Neuburg ge- kommen. Schwupp hat mich auch schon ein Polizist gehabt und mir einen Besen in die Hand gedr¸ckt: ªDa, kehr' die Straþen!´ Daher kenn' ich's ganz genau - besonders die Pflasterstein'!' 4 Im Jugendareissdudzgesetz vom 30. April 1938 heiþt es im Paragraph 8: 1. Den Jugendlichen ist die zur Erf¸llung der gesetzlichen Berufssdcul- pflicht notwendige Zeit zu gew"hren. 2. Die Unterrichtszeit In einer Berufsschule Ist auf die Dauer der Arbeits- zeit anzurechnen. Die Erziehungsbeihilfen oder der Lohn ist f¸r die Unterridctszeit weiter- zuzahlen. Die in letzter Zeit immer h"ufiger wer- denden Verhandlungen vor den Jugend- gerichten zwingen die Gewerkschaften, ein gr–þeres Augenmerk auf dieses Ge- biet des Jugendarbeitsschutzes und des in diesem Zusammenhang g¸ltigen Reichs- schulgesetzes vom 6. Juli 1938 zu wer- fen. Ich m–chte zun"chst zwei F"lle herausstellen. Da w"re ein 16j"hriger Hilfsarbeiter in einem Zeitschriften- und Lesezirkel- unternehmen. Seine t"gliche Arbeitszeit beginnt morgens um 5 Uhr, wenn aus den Verlagsorten die Tageszeitungen am Bahnhof ankommen. Abends um 8 Uhr ist seine Arbeitszeit zu Ende. Auf seine Vorstellungen beim Chef, daþ er zur Berufsschule m¸þte, entgegnete ihm dieser: Ach was, die Arbeit bei uns geht vor.' So geht es Woche f¸r Woche, bis die Berufsschule Anzeige erstattet und unser junger Kollege eine Vorladung vom Jugendgericht erh"lt. Erst jetzt findet er den Weg zum Ge- werkschaftsb¸ro und macht seinem Her- zen Luft. Der Jugendsekret"r nimmt sich dieser Sache an und wird auf Grund der ßß 32 und 43 des Reichsjugend- gesetzes. (RJGG) beim' Jugendgericht zu- gelassen. Es gelingt ihm durch die Lohn- abrechnungen zu beweisen, daþ der Ju- gendliche im Monat durchschnittlich 280 Stunden gearbeitet hat und demzufolge keine Zeit zum Schulbummeln ¸brig- blieb. Auch der als Zeuge geladene Gewerbeoberlehrer entlastet den Jun- gen, der jetzt wieder regelm"þig zur Berufsschule kommt, nachdem er eine andere Arbeitsstelle gefunden hatte. Es erfolgte ein Freispruch. Wegen der Miþ- achtung der gesetzlichen Bestimmungen des Jugendarbeitsschutzes wird der fr¸here Arbeitgeber durch das Arbeits- gericht erfahren, daþ man junge Men- schen nicht als billige Arbeitskraft aus- beuten darf. Bei dem anderen Fall, einer jungen Hausangestellten, liegt die- Schuld nicht direkt beim Arbeitgeber. Sie kommt aus schlechten h"uslichen Verh"ltnissen. Der Vater ist seit langem arbeitslosdie Kleidung der Jugendlichen und ihre Schuhe tragen deutliche Spuren der wirt- schaftlichen Not. Sie sch"mte sich in der alten Kleidung in die Berufsschule zu gehen. Seit sechs Wochen hat sie eine neue Stelle und von ihrer Arbeitgeberin ein Kleid und ein Paar Schuhe geschenkt bekommen. Auch sie kommt ohne Strafe davon, allerdings mit der Maþgabe, sich innerhalb einer Woche bei der Berufs- schule zu melden und diese regelm"þig zu besuchen. Aus diesen beiden F"llen m¸ssen wir als junge Gewerkschafter die Lehren ziehen. Jeder Lehrling, jeder jugendliche Arbeit- nehmer tr"gt selbst die Verantwortung, wenn er seiner Berufsschulpflicht nicht nachkommt. Walter Kirsdcner In der groþen Debatte um den Antrag der Opposition zur Bek"mpfung der Arbeitslosig- keit und um das von der Regierung vor- gelegte Arbeitslosenbesch"ftigungsprogramm erkannten sowohl die Sprecher der Koali- tion als auch die Antragsteller, daþ dabei die Jugendarbeitslosigkeit ein zentrales Pro- blem ist, dessen sich die Regierung beson- ders anzunehmen hat. Der SPD-Abgeordnete Prof. Dr. N–lting, Wirtschaftsminister von Nordrhein-West- falen, hatte erkl"rt: "Die Blutspuren Hitlers lassen sich nur mit Arbeitsschweiþ abwaschen. Wir k–nnen es uns nicht leisten, daþ namentlich ein Teil der zur Schulentlassung kommenden Jugend heute nicht in Lehre und Arbeit eingewiesen werden kann. 510000 Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren stehen schon jetzt ohne Arbeitsplatz da; das ist eine furchtbare Hypothek f¸r jedes Staatswesen. Die heran- r¸ckende Welle der Schulentlassenen m¸þte die gr–þte Hoffnung der leistungsgeschw"ch- ten deutschen Wirtschaft sein; praktisch ist sie uns heute leider mehr ein Alpdruck. Im Reichsgesetz f¸r Jugendwohl vom Januar 1923 steht der sch–ne Satz: ªJedes deutsche Kind hat ein Recht auf Erziehung zur leib- lichen, seelischen und gesellschaftlichen T¸chtigkeit.´ Wir bekennen uns zu diesem Satz, versp¸ren aber schmerzlich den Ab- stand zwischen Forderung und Wirklichkeit. Jugend ohne Hoffnung ist f¸r jeden Gesell- schaftsk–rper soziales Dynamit. Aus der so- zialen Not droht sich eine nationale, ich will besser sagen nationalistische Frage zu ent- wickeln. Wir haben es schon einmal erlebt, daþ uns sechs bis sieben Millionen Arbeits- loser sturmreif gemacht haben f¸r die Dik- tatur des demagogischen Schnapphahns Adolf Hitler, der verzweifelte Menschen in seinem braunen Bierzelt zusammenfegte, um daraus seine Sturmkolonnen zu formieren. Demokratien m¸ssen den Beweis erbringen, daþ man in ihnen nicht nur freier, sondern auch gesicherter und besser lebt, sonst wer- den sie erbarmungslos untergepfl¸gt. Wir fragen daher: ist die Regierung ¸berhaupt bereit, zuzugeben, daþ Vollbesch"ftigung zum zentralen Problem der Wirtschaftspoli- tik erhoben wird? - Man ¸berh–re nicht die warnende Stimme der Gewerkschaften aus K–nigswinter. Gewerkschaften pflegen ihre Worte wohl abzuw"gen; aber gerade deshalb sind sie doppelt gravierend.' Als Sprecher der Regierung erkl"rte Bun- desarbeitsminister Anton Storch: ,Ich weiþ, daþ wir in der Bundesregierung vor eminent schwierigen Aufgaben stehen. Das Arbeitslosenproblem hat dadurch eine besondere Note, daþ der gr–þte Teil der Arbeitslosen Jugendliche sind. Man fragt, woher kommt das? Die Antwort ist gar nicht so schwer. Der Nationalsozialismus hat die jungen Menschen ohne eine ausreichende berufliche Ausbildung zum Arbeitsdienst gebracht, er hat sie von da zum Milit"r gehen lassen und dann haben Hunderttau- sende jahrelang in der Kriegsgefangenschaft gesessen. Diese Menschen sind nicht in der Lage zu sagen, daþ sie eine abgeschlossene Berufsausbildung h"tten. Dazu kommt ein Zweites: die Zahl derjeni- gen jungen Menschen, die jetzt aus der Schule entlassen werden und in der ge- schrumpften Wirtschaft ihren Platz noch nicht finden k–nnen, ist sehr groþ. Wir sind uns in der Regierung v–llig klar dar¸ber, daþ wir diejenigen jungen Menschen, die jetzt noch nicht in ein Lehr- oder Arbeitsverh"lt- nis kommen k–nnen, schulm"þig wirtschaft- lich so schulen m¸ssen, daþ wir sie zu einem sp"teren Zeitpunkt mit einer verk¸rzten Lehrzeit ins Wirtschaftsleben ¸berf¸hren k–nnen.<' Wie wir in unseren letzten Nummern schon mehrfach herausgestellt haben, bedarf es jetzt von seiten der Regierung nicht mehr der Worte, sondern endlich der Taten. Nie ge&t ei weite.? ,4
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