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Aufwärts
Jahrgang 2, Nr. 11 (May 21, 1949)
Bo., K.
Christel auf Nachtschicht, p. 6
Hannelore
Brief an einen unbekannten jungen Kollegen, p. 6
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CHRISTEL AUF NACHTSCHICHT ,Ab n"chsten Montag m¸ssen wir ein ¸ber die andere Woche Nachtschicht machen', sagt Christel eines Abends zur Mutter, als sie von der Arbeit kommt, ãWarum das denn?' fragt die Mutter emp–rt. ãIch denke, die Nachtarbeit ist f¸r Frauen verboten. Das ist doch nichts f¸r dich.' .Ach Mutter, sei doch friedlich, es ist ja nur wegen der Stromsperre', tr–stet Christel sie. .Weil wir Auslandsauf tr"ge schnell erledi- gen m¸ssen, darum hat die Gewerbeaufsicht es f¸r einige Zeit bewilligt. So schlimm wird es schon nicht werden, denk dir, ich be- komme Zuschlag. Und wenn ich morgens nach Hause komme, schlafe ich bis mittags, und habe dann den ganzen Tag frei.' ,Du wirst dich wundern', antwortet die Mutter. ãGlaubst du denn, morgens k–nntest du hier so ruhig schlafen, bei dem Krach, der im Hause herrscht? Das h"ltst du keine vier Wochen aus. Ich kann ¸berhaupt nicht verstehen, wie euer Betriebsrat damit ein- verstanden sein konnte. Das ist doch unver- antwortlich." äJa, Mutter, soviel ich weiþ, hat der Be- triebsrat sich auch zuerst dagegen gewehrt. Aber es sind nur M"nner im Betriebsrat, und die meinten zum Schluþ, es sei nicht anders zu machen. Auf jeden Fall freue ich mich, daþ ich etwas mehr verdiene. Du siehst immer alles zu schwarz." Christel ist patzig geworden. Die Mutter sch¸ttelt den Kopf und sagt nichts mehr. Es ist schwer, den jungen Menschen etwas klarzumachen. Sie wissen alles besser. Montagsabends also marschierte Christel mit einem groþen Paket Butterbrote zur Nachtschicht. Am ersten Tag geht es aus- gezeichnet. Christel ist gl¸cklich ¸ber den freien Nachmittag. Auch an den folgenden Tagen kann sie allerlei Besorgungen machen und verschiedene Arbeiten erledigen. Doch Ein Beruf, der Nachtdienst erfordert. Foti \V. Bresser gegen Ende der Woche hat sie schon viel weniger Lust, etwas zu unternehmen. Ihre Brote bringt sie morgens zur H"lfte wieder zur¸ck, klagt ¸ber Kopfschmerzen und sitzt m¸de herum. Als sie merkt, daþ die Mutter etwas sagen will, greift sie schnell vor und bemerkt so nebenher: ãIch muþ mich erst an die neue Arbeitszeit gew–hnen. Das geht nicht so schnell." Nach der dritten Nachtschicht sieht man es Christel schon an, daþ sie zuwenig Schlaf bekommt. Mit brennenden Augen, m¸de und zerschlagen, kommt sie im Morgen- grauen nach Hause. Nach weiteren vier Wochen sind ihre roten Backen verschwun- den. Sie ist nerv–s und unzufrieden gewor- den. Oft beklagt sie sich, daþl sie nicht schlafen k–nne, weil die Mutter so mit den T–pfen klappere. Oder sie sagt: äHeute morgen hat es mindestens aditmal ge- klingelt." Es nutzt nicht viel, daþ die Mutter morgens nur auf den Zehenspitzen durch die Wohnung schleicht. Das ganze groþe Miet- haus kann sie ja unm–glich zur v–lligen Ruhe bringen. Obschon Christel sich manchmal richtig elend f¸hlt, will sie doch nicht ãschlapp machen'. Sie sagt: ãDie anderen Frauen arbeiten doch auch nachts. Und sie m¸ssen sogar noch ihre Kinder und ihren Mann versorgen.' Aber als sie einmal mit den Kolleginnen spricht, h–rt sie, daþ auch sie dauernd R¸cken- und Kopfschmerzen haben. Viele haben sich schon krank gemeldet. In den letzten Wochen sind im Betrieb mehr Un- f"lle vorgekommen als sonst in einem hal- ben Jahr, weil die Frauen zu m¸de waren, um gen¸gend aufmerksam zu sein. Christel und ihre Kolleginnen haben schnell und deutiich erfahren, daþ die Nachtarbeit ein Raubbau an ihrer Gesundheit ist, der durch keinen Zuschlag wieder wettgemacht wird. Das empfindlicher reagierende Nerven- system der Frau ist durch die Uberlastung, die die Nachtarbeit darstellt, viel leichter gesundheitlichen Sch"den ausgesetzt, als es bei dem Mann der Fall ist. Gewiþ wird es in manchen Berufszweigen und in einzelnen Betrieben nicht zu um- gehen sein, daþ auch die Frauen mit in- die Nachtarbeit eingeschaltet werden, doch es ist durchaus richtig, daþ der Arbelisminister die Gewerbeaufsichts"mter angewiesen hat, nur in den allernotwendigsten F"llen Frauen- nachtarbeit zu bewilligen. F¸r Jugendliche unter 16 Jahren soll ¸berhaupt keine Ge- nehmigung erteilt werden. Aber die Frauen selbst m¸ssen sich klar dar¸ber werden, daþ die Nachtarbeit. sich nur zu ihrem Schaden auswirkt, und m¸ssen sich durch ihre Be- triebsr"te gegen die nicht unbedingt not- wendige Einf¸hrung wehren. K. Bo. schon eine Zeit voller Unbill und Miþst"nde hinter uns haben, dann d¸rfen wir keines- wegs daraus den Schluþ ziehen, nunmehr nur noch an uns und unser eigenes Wohl zu denken. Und dann kommen wir audh ganz von selbst dazu, unsere eigene M¸- digkeit nicht so wichtig zu nehmen. Wir sind doch jung, unsere Glieder sind noch geschmeidig. Der Fraur mit dem Kind auf dem Arm, dem alten arbeitsgebeugten Kol- legen f"llt das Stehen bestimmt doppelt so schwer wie uns j¸ngeren Menschen. H–flichkeit und Anstand sind keine beson- deren Tugenden, deren Besitz nicht unbe- dingt notwendig ist, sondern beide sind Selbstverst"ndlichkeiten, ohne die eine echte Gemeinschaft, sei es vom kleinen Familien- und Freundeskreis aus gesehen, sei es vom groþen Kreis der menschlichen Gesellschaft aus gesehen, nicht gedeihen kann. Und ich weiþ, lieber Kollege, in Wirklich- keit bist Du gar nicht so unzug"nglich. Du kannst sehr nett und zuvorkommend sein. Manchmal bist Du nur ein wenig bockig und zu m¸de und zu lau, ¸ber die Dinge richtig nachzudenken. Ist es nicht so, mein lieber junger Kollege? Hannelore BRIEF AN EINEN UNBEKANNTEN JUNGEN KOLLEGEN Ich saþ in der Straþenbahn, m¸de und ab- gespannt, froh, einen Platz gefunden zu haben. Doch es war so, wie es meistens ist, die Bahn wurde immer voller und voller, und auch alte Leute kamen herein. Ich stand auf und bot bereitwillig meinen Platz an, wobei mein Blick unwillk¸rlich bei Dir h"ngenblieb, lieber junger Kollege. Du saþest da. stocksteif, und blicktest ruhig und gelassen der Frau mit dem kleinen Kind auf dem Arm ins Gesicht. Mein stiller, brennen- der Wunsch, Du m–chtest Dich erheben und ihr den Platz anbieten, blieb unerf¸llt. Ist es nicht ein furchtbar trauriges Zeugnis, das Du Dir da nicht nur f¸r Dich selbst, sondern f¸r alle jungen Menschen ausgestellt hast, lieber Kollege? Ich weiþ, Du bist nicht der einzige, der so ruhig sitzenzubleiben pflegt. Es gibt noch mehrere Deines Schlages, junge Herren und manchmal auch junge Damen. Du wirst mich jetzt vielleicht verwundert anschauen und mir sp–ttisch zur Antwort geben: ãLiebe Kollegin, wir leben eben nicht mehr in der guten alten Zeit!' Und zu Deiner Rechtf er- tigung wirst Du auþerdem sagen: ãIch kam hundem¸de von der Arbeit!" Das mit der guten alten Zeit ist nur eine an den Haaren herbeigezogene Ausrede. Die Sache hat mit dieser oder jener Zeit gar nichts zu tun. Sie hat lediglich etwas mit einem normalen Anstandsgef¸hl und einer normalen Empfindungskraft zu tun. Und mit gar nichts anderem. Wenn wir Das viertausendste ãNordsee" - M¸dcs.n ¸berreichte der Gattin des britischen Milit"rbefehlshabers in Deutschland, Lady Robertson, bei ihrer Besichti- gung des Frauendurdigangslagers Medclenbeck bei M¸nster in Westfalen einen groþen Blumen- strauþ. Von den bisher im Rahmen der Aktion .Nordsee" zum Arbeitseinsatz nach England ge- fahrenen deutschen M"dchen sind nur 2 v. H. aus verschiedenen Gr¸nden zur¸ckgekehrt. Foto: dpd Gemalde von J. Kronenberg. FtoJ.Zme Foto: J. Zimmer
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