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Aufwärts
Jahrgang 2, Nr. 11 (May 21, 1949)
Stuckmann, Heinz
Jugend klagt an!, p. 5
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Es ist noch gar nicht so lange her, da be- sch"ftigte die Offentlichkeit ein sensationell anmutender Mordprozeþ, der mit der Ver- urteilung des M–rders zum Tode endete und damit auch das Interesse der Offent- lichkeit wieder verlor. Oder sollte es nicht sein? Wilfried Helm ist im 9.Mai zu lebens- t l"nglichem Gef"ngnis von dem amerikani- schen Milit"rgouverneur f¸r Deutschland be- gnadigt worden. Ein Urteil, und darum wol- len wir uns hier damit besch"ftigen, das einen jungen, gerade 18 Jahre alt gewor- denen Menschen trifft. Wie war das m–glich? Wie konnte der l7j"hrige einen Doppelmord an einem amerikanischen Hauptmann und einem deutschen Kriminalbeamten begehen? Wilfr 14,1,, ã,tammt aus Dresden. Beim Groþangriff kommen dort seine Eltern in den Flammen um. Kurze Zeit findet er in der Tschechei Ar- beit und Unterkunft bei einemBauer.Dann kommen die Ameri- kaner und mit ihnen der deutsche Zusam- menbruch. Eine ame- rikanische Einheit nimmt ihn als Troþ- jungen mit. Als die Truppe nachAmerika zur¸ckkehrt, beginnt sein Irrweg. Wie tau- sende Jugendliche wandert er in dieser Zeit von Stadt zu Stadt, von Land zu Land. Nirgendwo be- kommt er Zuzugs- oder Aufenthalts- genehmigung; nie- mand k¸mmert sich um ihn, niemand nimmt ihn auf; nir- gendwo bekommt er auch nur Lebens- Wilfried Helm vor mittelkarten. Er ist gezwungen, wie viele seiner Leidensgenossen, in den Bahnh–fen und Bunkern der groþen St"dte zu leben und seinen Lebensunterhalt mit Schwarz- markt und Diebstahl zu bestreiten. Er wird deshalb mehrfach bestraft und zu Gef"ng- nisstrafen verurteilt. Aber es gelingt ihm immer wieder, aus den Gef"ngnissen aus- zubrechen. Anfang 1948 wird er erneut zu einer acht- monatigen Gef"ngnisstrafe verurteilt. Doch auf einer Fahrt zum erlogenen Tatort einer erfundenen Geschichte setzt sein fast psycho- pathischer Freiheitsdrang auch hier sein Ziel in die Tat um: Bei Pforzheim entwendet er aus der Tasche des ihn begleitenden Krimi- nalbeamten, der w"hrend der langen Fahrt eingeschlafen ist, einen Trommelrevolver, schieþt den Beamten und den steuernden Hauptmann nieder und bringt den Wagen zum Stehen. Erneut beginnt nun das Leben der Land- straþe f¸r Wilfried Helm. Doch irgendwie ist er ersch¸ttert. Er will das alte Leben und die alte Welt hinter sich lassen und in Amerika neu beginnen. Er ist schon tief in Belgien, als er verhaftet und nach Deutsch- land ausgeliefert wird. Am 22. Oktober 1948 verurteilt ihn das amerikanische Milit"r- gericht zum Tode. Soweit das tragische Geschick Helms. - Doch es ist nichts anderes als ein Beispiel f¸r tausend andere Jugendliche, die auf der Landstraþe lebten und zum gr–þten Teil noch leben; bei ihnen ist lediglich der Revolver noch nicht losgegangen. ,Sie sind es ja selbst schuld!' -- ,L"ngst h"tten sie in den vergangenen Jahren ge- regelte Arbeit und Unterkunft finden k–n: nen. So bekomme ich immer wieder zur Antwort, wenn ich ¸ber diese Dinge spreche. Ich erz"hle dann immer von den Wochen, in denen ich mal auf einem Jugendamt praktizierte. Da kamen sie auch t"glich, die Helms aller St"dte und L"nder: M¸de, hungrig, zerlumpt, verkommen! Sie waren das Leben der Landstraþe satt, und wir sollten ihnen helfen. Doch was wollten wir machen? Wo sollten wir sie unterbringen? Die Heime waren l"ngst ¸berf¸llt, und die Privatleute sagten: Verwahrloste Jugend! Sache des Jugendamtes! Wir werden uns h¸ten!' Nun, wir haben was f¸r sie getan: Wir haben sie... registriert! Dann wurden sie zu einer Baufirma oder in ein Fl¸cht- lingslaqer geschickt. Aber jeder, der es mitgemacht hat - und nu r der -, weiþ, daþ man mit einem Luftschutzbett in irgendeiner Ba- racke und einem ge- f¸llten Eþnapf kein neues Leben auf- bauen kann. So hat keiner lange auf die- sen Stellen ausgehal- ten. Sie waren auf die Landstraþe ver- bannt. .H"tte ich noch ir- gendein Zuhause ge- habt, ich h"tte nie- mals ein solches Ver- brechen begangen, so sagte Wilfried Helm in der Gerichts- verhandlung. Welch furchtbare Anklage gegen uns alle! Ge- wiþ, nicht jeder kann einen Jungen auf- nehmen. Aber es gibt in jeder Stadt Heime, die sich ihrer annehmen, Heime, em Pohen Gericht die um jeden Pfen- nig k"mpfen m¸s- sen. Also... 1 Oder wird dieses Urteil einer lebensl"nglichen Verdammung auch sie tref- fen, wie es Wilfried Helm f¸r lange Jahre seines Lebens aus der menschlichen Gesell- schaft ausschlieþt? Heinz Studcmann Angeklagt! Ohne Heim und ohne Heimat, ohne Mittel und ohne Namen, und doch leben woUen Fotos: Bauer, Ardciv 79 ' in dem landschaftlich sch–nen Gebiet in der N"he von Ithaka (Staat New York) der New Yorker Kaufmann William R. George, seine 223 ha groþe Farm zur Gr¸ndung einer Jugendrepublik stiftete, in der heute schon 120 Jugendliche, die einst als schwer erziehbar galten, unter dem Motto: Nichts ohne Arbeit' zu- sammenleben? zu einem siebenw–chigen Aufenthalt nach England zehn junge Bergarbeiter aus dem Ruhrgebiet eingeladen wurden, die, bei Walliser Bergarbeiterfamilien unter- gebracht, in gemeinsamer Arbeit Lebens- und Arbeitsverh"ltnisse in England ken- nenlernen sollen? - 27. August in Frankfurt von der Europa-Union ein "Tag der Europ"ischen Jugend' veranstaltet wird, zu der Ju- gendliche aus Frankreich, England, Ita- lien und der Schweiz eingeladen wurden? der Jugendring der Stadt Oberhausen im Monat August eine Internationale Zelt-Jugendwoche ausf¸hrt, zu der Ju- gendvertreter von zehn Staaten einge- laden sind, die zum gr–þten Teil schon eine Zusage gegeben haben? alb Treffpunkt der Jugend Europas auf der Insel Mainau auf dem Bodensee eine Welthochschule als "Internationales In- stitut' errichtet wird? nado einem Vorschlag der Jungen Union in Baden der Paragraph 27 des Jugend- arbeitsschutzgesetzes folgendermaþen ab- ge"ndert werden soll, weil es zuviel von einem F¸nfzehnj"hrigen verlangt sei, Sinn und Notwendigkeit eines Streiks zu begreifen: ãBei einem Streik d¸rfen Ju- gendliche von keiner der am Streik be- teiligten Parteien zu einem Verhalten im Interesse einer Partei gezwungen wer- den. Jugendliche in einem Lehrverh"lt- nis d¸rfen nicht streiken."? di evangelischen Jugend- und Wohl- fahrtsverb"nde in W¸rttemberg-Baden einen freiwilligen Jugend-- und Aufbau- dienst einrichteten, bei dem in sogenann- ten Arbeitsgilden je 15 Jugendliche sechs Monate lang mit gemeinn¸tzigen Arbei- ten besch"ftigt werden? die Junge Union auf einer Tagung in Bad Pyrmont sich f¸r die Schaffung eines freiwilligen genossenschaftlichen Arbeits- dienstes ausgesprochen hat, der abseits vom Drill und Zwang des Nazisystems stehen soll und sich dar¸ber hinaus f¸r eine praktische L–sung der jugendlichen Arbeitslosigkeit in den bizonalen L"n- dern einsetzen will? in einer Vollsitzung des Hessischen Ju- gendringes dieser sich f¸r die Schaf- fung eines eigenen Jugendministeriums bzw. Staatssekretariates f¸r Jugendfra- gen im Land Hessen einsetzt, in dem alle Jugendbelange zusammengefaþt werden sollen? eine "Aktionsgemeinschaft der Jugend f¸r ein einiges Deutschland" in der letz- ten Zeit sich in der Ost- und in den Westzonen von sich reden macht, weil sie durch eine enge F¸hlungnahme der Deutschen die Trennung zwischen Ost und West ¸berwinden will? in Hamburg ein dreik–pfiges Gr¸ndungs- komitee bei der Milit"rregierung die Li- zenz f¸r eine V–lkerverbindende Ju- gendunion' beantragt hat? im Verlag Hervost, Wiesbaden, von der Arbeitsgemeinschaft Zeltlager, im Lande Hessen, und der Arbeitsgemeinschaft f¸r Jugendschrifttum ein Zeltlagerbuch her: ausgegeben wurde? 5 da
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