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Becher, Johannes Robert, 1891-1958. / Wir, Volk der Deutschen; Rede auf der 1. Bundeskonferenz des Kulturbundes zur Demokratischen Erneuerung Deutschlands (21 Mai 1947)
(1947)
VI. Geistige Auseinandersetzung, pp. 54-60
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geistigen Auseinandersetzung noch bei einer Kritik, Be- hauptungen aufzustellen, ohne sie zu beweisen. Eine Be- hauptung mug abgeleitet sein, und das Grundsatzliche in Meinung und Gegenmeinung mug sichtbar werden. Eine geistige Auseinanders'etzung wird unter der stillschwei- genden Vereinbarung gefiihrt, dag erstens jeder, der daran teilnimmt, offen und rickhaltlos seinen Standpunkt dar- legt, dag er zweitens die lberzeugung des Gegners achtet und ihm nicht nur das Recht einer eigenen Meinung zu- billigt, sondern sich auch an das Wort Goethes erinnert: ,,Alles, was der Mensch zu leisten unternimmt, es werde nun durch Tat oder Wort oder sonst hervorgebracht, muf aus samtlichen vereinigten Kraften entspringen; alles Vereinzelte ist verwerflich." Und drittens setzt ein Streitgesprach voraus, das man nicht mit dem unat- anderlichen Entschlufg daran teilnimmt, sich unter keinen Umstanden iiberzeugen zu lassen. Hier gibt es keine Sieger und Besiegte. Wer in einer geistigen Auseinander- setzung sich uberzeugen Muf~t, beweist damit nur, daf er ein fur geistige Probleme aufge~schlossener und geistig lebensfahiger Mensch ist. Es ist erfreulich, dag sich allerorts bereits solche An- sitze zu geistigen Auseinandersetzungen zeigen und dal3 auch immer haufiger das Bestreben zu verzeichnen ist, wieder zu einer auf objektiven Magstdiben beruhenden Kritik zu gelangen. Der ,,Kulturbund zur demokrati- schen Erneuerung Deutschlands" betrachtet es als seine besondere Aufgabe, solche geistigen Auseinandersetzun- gen zu pflegen und vor allem diejenigen kritischen Stimmen zu f6rdern, die, sauber und verantwortungs- bewuflt, bemuht sind, wieder ein kritisches Gewissen herauszubilden. In den Diskussionen, wie sie vor allem im ,,Klub der Kulturschaffenden" stattfinden, wird von unserer Seite peinlichst darauf geachtet, dagi ein sach- licher und wiirdiger Ton gewahrt bleibt und dal3 jedes Aneinandervorbeireden oder Zum-Fenster-Hinausreden bei solchen Streitgesprachen vermieden wird. Jeder Dis- kussionsredner wurde sich durch ein demagogisches Ver- S5
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