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Becher, Johannes Robert, 1891-1958. / Wir, Volk der Deutschen; Rede auf der 1. Bundeskonferenz des Kulturbundes zur Demokratischen Erneuerung Deutschlands (21 Mai 1947)
(1947)
IV. Von Deutschlands Jugend, pp. 43-50
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vielleicht durch solche hervorragenden, uberzeugenden Leistungen bereits ausgewiesen, dal uns vor Begeisterung die Jugend in hellen Haufen zustrbmen miifte? Von solchen hervorragenden, iiberzeugenden Leistungen kann unsererseits noch nicht die Rede sein. Wir stehen erst im Anbeginn und haben erst einen bescheidenen Anfang gemacht. Mit den materiellen Noten, mit dem geistigen Schutt und den moralischen Trummern, die uns die Nazi- herrschaft hinterlassen hat, aufzuraumen, erfordert eine ubermenschliche Kraft, neue zusatzliche Schwierigkeiten erwachsen uns von Tag zu Tag und stellen sich unis in den Weg, das ist richtig und spricht fur uns, und zum Teil auch haben wir noch gar nicht unsere Leistungs- fahigkeit beweisen konnen. Aber im groflen und ganzen genommen ist noch nicht ein solcher geistig-moralischer und materieller Zustand erreicht, der einer Jugend die Aussicht er6ffnet auf eine deutsche Zukunft. Dals Provisorische und Improvisatorische unserer heu- tigen Lage befriedigt ja keinen von unis, wie sollte eine Jugend, deren Geist aufs Unbedingte gerichtet ist, sich mit un-seren behelfsmiUigen Notl6sungen begeistert ab- finden? Das Problem der deutschen Jugend ist also in erster Linie das Problem derer, die berufen isind, die deutsche Jugend zu erziehen. Nicht die deutsche Jugend ist in erster Linie problematisch und fragwiirdig, problematisch und fragwurdig sind in erster Linie wir, denen die Er- ziehung der deutschen Jugend anvertraut ist. Wir, die Erzieher, mussen in erster Linie zur Erziehung der deut- schen Jugend erzogen werden. Die Jugend hat heute ein sehr feines Empfindungs- und Witterungsvermogen dafiur, ob es sich um eine wirkliche, menschliche, freiheitliche Erziehung handelt oder um Dressur. Eine wirkliche,. menschliche, freiheitliche Erziehung aber braucht Zeit,. Zeit und nochmals Zeit und viel, viel Geduld. Ein wirklich menschlicher Erzieher wird nicht jed-n jugendlichen Blodsinn tierisch ernst nehmen und nicht aus jeder unbesonnenen Handlung eines Jugendlichen eine 44
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