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Becher, Johannes Robert, 1891-1958. / Wir, Volk der Deutschen; Rede auf der 1. Bundeskonferenz des Kulturbundes zur Demokratischen Erneuerung Deutschlands (21 Mai 1947)
(1947)
III. Volk im Untergang?, pp. 34-43
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stimmten Zeit zu spielen berufen war. Wir wurden er- kennen, was es bedeutet, wenn Friedrich Nietzsche in dieser konkreten politischen Situation, als der deutsche Imperialismus eben zu seinem ersten sprung ansetzte, das erstemal in der deutschen Philosophie sich off en zuim Antihumanismus und zur Volksfeindschaft bekannte; das Barbarische der modernen Gesellschaft als das eigentlich Schopferische, die Grausamkeit als den wesentlichen Be- standteil jeder Kultur erklarte; wenn er die Trennung vollz.og zwischen Herrenmenschen und Pobel, zwischen Hdherrassigen und Niederrassigen, wenn er von der Schaffung eines neuen Adels sprach, einer Clique von Gewaltinhabern, die uiber jedem Gesetz stehen, auflerhalb jeder Verantwortung, und deren Pflicht nur in einem be- steht, in der riicksichtslosen Gewaltanwendung; wenn er jede objektive Weltanschauung und den Wahrheitsbegriff uberhaupt diskreditierte; wenn er in der Konstituierung eines Standpunktes jenseits von Gut und Bose die mora- lischen Grundinstinkte und den Begriff des Gewissens aufhob - und wenn er alle diese reaktionaren Lehren in der demagogischen Form eines Umwerters aller Werte und des Revolutionirs vortrug. Gerade darum ist das Beispiel Nietzsche auch fur unsere heutige Zeit so lehr- reich, als in ihm das Reaktionaire in der Form des Revo- lutionaren auftrat und in einer hochbegabten verfuhre- rischen Su,ggestivform, was beides spaterhin auch bei der Nazipropaganda so charakteristisch ist. Somit IHut die geistige Entwicklung des zwanzigsten Jahrhunderts drei Phasen erkennen in ihrer Auffassung des ,,Guten und B6sen". 1. Der Kaimipf des Guten und Bosen, im Sinn einer freien Konkurrenz und eines aufl6sbaren Widerspruchs, wobei das Prinzip des Guten sich letzten Endes durch- setzt und uiber das B6se siegt. 2. Der Kampf des Guten und Bosen im Sinn eines tragisch unaufl6sbaren Widerspruchs, als eines im Welt- zustand gesetzten Antagonismus. Ein ewiges Unent- schieden. 3 3
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