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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Johannes Wüsten, pp. 179-180
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zu Boden schleudern. Da ... entsetzliche Entdeckung . . ..er schreit laut auf: ,,Fort, fort! Der Baum ist - wahr -, er bricht zusammen!" Antoine kann lange nicht mehr einschlafen. Andern Tages arbeitet sie schon, als er zum FrUhst~ick erscheint. Sie macht eine Pause, lachelt vergniigt und setzt sich neben ihn: ,,Ich habe lange nachgedacht, monsieur, fir manche wenige, die reinen Herzens sind, geziemt es sich wohl, daB sie Mdrchen, macheir, Watteau zum Beispiel ist ein solcher Marchenmaler. Die Erde ist nicht so, wie er sie schildert - man wtnscht jedoch, sie ware so in Wahrheit, verstehen Sie?" Er findet keine Worte, und sie hebt bedauernd die, Hande: ,,Schade. ... Sie kennen vielleicht nicht gentigend Bilder von Watteau." Und da sie sein Ldcheln als Mbermut deutet, neckt sie: ,,Ein biBchen viel Rot haben Sie heut auf den Backen. Watteau'sche Wangen wurden nie so harte Effekte auf- weisen." Seine Augen weiten sich fur Sekunden in Angst, dann senken sich die schweren Lider. Er nimmt grazios.den kleinen. Emailspiegel und uberpudert dieses Rot noch einmal. --- Sie kam jeden Tag wieder. Und Antoine filhlte sich immer froher werden. Verwegene Gedanken stiegen in ihm auf. Sorgfaltig prufte er nachts seiffen Puls, Uberwachte die Temperatur . . . es gibt geheime Machte, die zerstoren, - gibt es ihr Gegenteil nicht auch? Kann man nicht an Gluck gesunden? Denn er liebte, wenn er es sich auch, nur zogernd zugab, weil er vor dem Augenblick entsetzt zuruckbebte, wo dies junge Wesen seinen KuB erwarten wurde. Oh ... urn keinen Prels - hierin haben alle Arzte eine Meinung, die eine Warnung ist.- Sie merkte bald, daB Antoine sie liebend zugleich von sich wies. Und er fuhilte taglich deutlicher, wie sie zu leiden begann. In seiner Not sprach er mit ihr und bat sie um ein wenig Zeit noch. Er tauschte ein Gelubde vor; das bald zu Ende gehe, und dann: ,,Bei GMtt, ich bitte nur um Ihretwillen,' um Ihret- willen nur!" Sie sah erstaunt sein hel~es Gesicht, beruhigte ihn schnell: ,,Da Sie mich lieben, ist mir nichts sonst wichtig mehr zu wissen!" - Als sie heimging, horte er sie lange singen; der Drossel gleich, die am ersten Tage iuber ihnen sang, so jubilierte sie jetzt durch die Felder dem Stadtchen zu. - In dieser Nacht muite Antoine den Wirt wecken. Der Wirt spannte sofort an. Antoine streifte vom Finger einen Ring mit einer kleinen Perle, legte ihn in ein Kuvert - schrieb ein paar Worte dazu. Dumpf trommelt der Regen auf das Dach der Kutsche - derselben, die ihn durch die Sonnenlandschaft hergefahren hatte. - - - Als am naichsten Morgen Antoines Freundin den Garten betrat, lief ihr der Wirt erregt entgegen: ,,Der gnadige Herr hat einen Blutsturz gehabt . . . schier zum Verwundern ist es, daB er danach noch Leben zeigte!" Sie las den Abschiedsbrief, las die Erklarung, den Dank fur diese Tage und die Unterschrift: Antoine Watteau. Wortlos, planlos wanderte sie durch die Berge - sah von der Hohe dann hinunter. Dort, zierlich wie ein Spielzeug lag das Haus ... im Garten stand der kleine Tisch mit zwei winzigen StilhIchen. ,,Das Marchen", sagte sie plotzlich und noch ohne Tranen. ,,Die Wahrheit hat es abberufen . . ." Erschrocken fuhr sie herum. Ihrer Stimme antwortete ein brummiger Ton. Doch es war nichts A erschrecken - es war nur der GruB des alten Forstgehilfen, der die Dohnen ausgenommen hatte - mit reichem Fang Ubrigens: auf seinem Rilcken baumelte ein Dutzend Drosseln.
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