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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Berthold Viertel, pp. 166-167
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Armin T. Wegner, pp. 167-168
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kann, noch bevor die Proben zu Ende sind. Wie oft beschlich mich das Ge- flihl, daBl nun aber auch kein Augenblick mehr zu verlieren und unbedingt sofort das Gegenteil zu schreiben ware! Dabei ist die Unbefriedigung geringer bei jenen unvollkomnmenen Werken, die mehr das Material der Zeit als dessen Gestaltung bieten und die erst auf der Biuhne zu Ende gedichtet werden mussen. Sind es Jugendwerke, dann entschadigt jene von der Natur gebotene Freude, die sich stets ergibt, wenn man der Jugend und ihrem absoluten ichgeftuhl begegnet. Hier befriedigt die Perspektive in die Zukunft, ins Leben hinein. Mit den Werken entschwundener Generationen umzugehen, ist fUr das Geftihl bedenklicher. Da droht die Angst, mit dem Toten, den man noch ein- mal beschworen hat, selbst zu den Toten geworfen zu werden. Jede Inszenie- rung beginnt als groBe Liebe. Wie schlecht das Stick auch sein mag, der Regisseur verliebt sich in das StUck. Ich habe mit den Jahren gelernt, den Wert der Werke, die ich auf die Buhne bringe, erst Im Verlauf der Proben allmahlich zu erleben - zu erleiden. Wochenlang Tag und Nacht immer wie- der jedes Wort prflfen, jedes Wort immer wieder h6ren, sehen, schmecken, bis in den kurzen Schlaf hinein verfolgt werden von jener inneren Bewegung, von jeder liuBeren Geste -; da stellt es sich schliefflich jedesmal heraus, ob die geistige Speise, so grundlich genossen, schal wird, ob der intime Umgang mit dem Werk, ob die Verleiblichung, der Umsatz der Sinnlichkelt den so Liebenden auf die Dauer veredelt, verfeinert, steigert, oder ob sie ihn herab- stimmt oder herunterbringt, ob sie ihn grober, stumpfer, leerer macht. Es sind lauter aufregende und aufreibende Liebesabenteuer. Wer sie durchmacht, selie zu, daB er nicht zum abgebruhten Zyniker werde! Wer sich im Umgang mit Dramen zu langweilen beginnt, der gehe ab von der Bahne! Es ist die hdchste Zeit fUr ihn. ARMIN T. WEGGNER 1886 in Elberfeld geboren, studierte Jura Antlitz der Stltdte" an. Er enigrlerte 1983 und gab mit siebzehn Jahren seinen und ist im Exil gestorben. - In der ersten Gedichtband ,,Im Strom verloren" ,,Neuen Rundschau" veroffentlichte er heraus. Daran schlossen sich die spiter 1927 einen kurzen Artikel tiber ALFRED erschienenen BHicher ,,Zwischen zwei KERR, dem wir zwei seine Darstellungs- Stadten", ,,Gedichte in Prosa",und ,Das art kennzeichnende Abschnitte entnehmen. Es ist das Zeichen starker Naturen, dai3 sie die Welt nicht spiegeln, son- dern der Welt ihr Gesicht geben. Aus jeder Frauengestalt der Kathe Kollwitz leuchtet leidend und heroisch ihr eigenes Antlitz; so blickt durch jede Seite seiner Kritiken das kluge besinnliche Auge Alfred Kerrs. Hebbel sagte: ,,Ich halte es fdr die grol~te Pflicht eines Menschen, der uberhaupt schreibt, daB3 er Materialien zu seiner Biographie liefere." Kein Wortbildner ist diesem Grundsatz treuer geblieben als Alfred Kerr. So werden seine Kritiken zu einem einzigen grolen Tagebuch seines Daseins. Nur durch das Wagnis, sich niemals seiner Haut zu entauBern, nie sachlich, stets personlich zu sein, konnte es ihm gelingen, etwas gerade sehr Sachliches zu geben und die Kritik zur Dichtung zu erheben. Man greife nur zu Irgendeinem alten Zeitungsblatt mit einer Kritik Alfred Kerrs und man wird erkennen, wie seine Worte vertiefter, leuchtender, ewiger zu uns wiederkehren. Er schrieb sie im Augenblick; aber nicht fMr den Augenblick. *
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