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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
René Schickele, pp. 144-145
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Herbert Schlüter, p. 145
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nilite S6hne, Gatten, Brilder, und wer Rolland kennt, weiB, daB er es nicht bei blrokratischent AuskUnften bewenden liel. Aber es schien ihm nicht genug. Er hatte den Abend nicht vergessen, wo, als Antwort auf den Hilfe- ruf eines unbekannten Pariser Studenten, ein neununddreilig Seiten langer Brief Tolstois aus Jasnaja PoIjana eingetroffen war... Jede gute Tat, selbst die unscheinbarste, tragt ihren Gewinn in sich selbst. Als Tolstoi am 14. Oktober 1887 an einen Herrn Romain Rolland, Schiler der Ecole Normale, schrieb, bewirkte er, daB 27 Jahre spater, da ihn selbst schon die Erde deckte, die Menschheit inmitten des Volkermordens aufschrie in ihrem Gewissen. Es war die Stimme jenes zarten, schtichternen Studenten, die in Genf fUr alle diejenigen sprach, die schweigen und verbluten multen. HERBERT SCHLUTER Gehorte vor 1933 zu dem. Krels urn Klaus Sein neuer Roman ,,Nach ftlnf Jahren" er- Mapn. Seirle erste grolere Novelle: ,Das schien vor einiger zeit im Willi Weis- spate Fest" erschien 1927 bei S. Fischer, mann Verlag, Mtlnchen, dem Verlag der Berlin. Er schrieb zarte Gedichte und Zeitschrift ,,Die Fahre". - Seine Satze einen Roman ,,Die Rtlckkehr der verlore- aus einem vor 1933 in der ,,Neuen Rund- nen Tochter". 1934 ging er nach Spanien schau" erschienenen Artikel .,BERUF und nach dem Ausbruch des Bilrger- UND AUSSICHT EINER JUGEND" er- krieges nach Jugoslawien und Italien. weisen auch heute noch ihre Gilltigkeit, Schltlter lebt jetzt wieder in Deutschland. trotz der ver9.nderten Voraussetzungen: Wir sind uns inzwischen unserer geistigen Situation bewuBt geworden, und ich glaube - ich werde nachher zeigen, warum -, daB noch keine Jugend dieses Jahrhunderts wie die unsere so erfillt war von Verantwortlichkeit, so qualend sich ihrer ungeheuren Verantwortung einer geistigen Zukunft gegen- tiber bewuBt. Das VerantwortungsbewuB tsein also, die geistige Bereitschaft, das Interesse an Vergleichungen, dies alles wird unsere Arbeiten sehr bedingen. Hierin sehe ich ilbrigens eine entfernte Beziehung zur Frihromantik. Auch das Interesse an der Weltliteratur ist ja sehr stark gerade jetzt, mpan empfindet inter- national-europaisch, aber man entdeckt zugleich die amerikanische Literatur, ohne aufzuhoren, sich mit der russischen intensiv zu beschaftigen. Von den Franzosen sind es besonders Gide und Vale~ry, die uns sehr angehen, und wir begreifen noch die unvergleichlichen Reize Prousts. Die Neigung nicht nur des Publikums, auch der jungen Dichter selbst wendet sich stark dem Roman wieder zu, dessen Krise als Kunstform uns deshalb stark personlich betritft. Ich denke mir, daB der Roman sich sehr wird wandeln miissen, um unsere grol3en Erkenntnisse, Bemtihungen und Hoffnungen recht klar zum Ausdruck zu bringen. Wir empfinden ja Literatur nicht lHnger mehr als Selbstzweck, wir meinen nicht mehr das stolze und gelungene Poem des einsam arbeitenden Ktinstlers, wir fiihlen uns vielmehr verantwortungsvoll gebunden an den groten geistigen Prozel3. Literatur er- scheint uns alien heute als Dienst nur in der geistigen Bewegung, als eine sehr gesteigerte, sehr moglichkeitenreiche, unglaublich gewagte Diskussion unserer Existenz. 145
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