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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Balder Olden, pp. 126-127
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nalen Friedens zu Feindelk der Nation und vogelftel erklaren, zarte Kinder beim Abc zu M6rdern und Folterknechten erziehen, aus der deutschen Justiz, die seit langem erbairmlich krankte, eine grauenhaft stinkende Leiche maehen- - diesen ganzen Teil seines Programms, das in den Boxheimer Dokumenten festlag, konnte er im Handumdrehen ausfiihren. Eine Satrapenschar, wie die Welt sie noch nile erlebt hat, eine Schar approbierter Femembrder, Ministermirder, gemeingefahrlich befundener Geisteskrarnker stand ihm zur VprfUgung. Ich sah ihn mit entsetzten Augen noch entstehen, diesen Garten der Qualen: Deutscheg Reich. Auf offener Strafle droschen die Totschlager der SA Menschenschadel zu Trtlmmern, Zuchthausler wurden Polizeibeamte; jedes Haus, in dem man sich schlafen legte, konnte fiber Nacht zur Todesfalle werden. Mit jedem Wort des Pro- testes sprach man sich selbst das Urteil. Was die eigenen Augen gesehen hatten, durfte der Mund nicht wiedergeben. Sie hatten doch weil3 Gott nicht zu fliehen brauchen! Was ware denn meine Aufgabe gewesen? Die Augen, die Ohren zu achlieBaan, heitere Romane, friedvolle Stimmungsbilder aus vergangenen Tagen zu schreiben, ein Ligner zu werden, wie ihn Gott nicht erbarmlicher schaffen konnte. So hatte ich in Schanden grau werden, vlelleicht auclh das Dammern einer besseren Zukunft erlebcn konnen, fur das a n d e r e Manner kdfnpften. Aber dann ware ja einst mein Grab ein Misthaufen unter Zypressen gewesen. Es gab nur Selbstmord oder - nein, auch die Flucht aus Deutschland war keine Flucht vor dem Selbstmord! Das Brtlllen der Gequalten tobt fUr den, der es hbr' n will, millionenstimmig fiber alle Grenzen des Hitlerreiches, man kann nichts anders denicen, wie solite man anders schreiben? Um mich nicht iusrotten zu mussen, mul3te ich mit dem Geist des Bbsen kampfen, aber wie, mit welchen Waff en? In den ersten Monaten des Exils hatte Ich fast vergessen, daB Ich eine Waffe besitze,. daB ich Romane schreiben kann, daB eine Tat zu versuchen war, wie sie einst ,,Onkel Toms Hutte" gewesen ist, dies fromme Werk eines redlichen Frauenzimmers, das, wie kein anderfs Buch, die Schmach der Neger- sklaverei von der Erde tilgen half. Diesen Roman habe ich nun geschricben, nicht irr Fieber der Wut, sbridern so kalt, wie nur der tiefste ehrliche Hafi macht. Er soll dort wirken, wo Leitartikel und Pamphlete nicht hindringen, er soll bildhaft machen, was die zivilisierte IYUenschheit heute noch nicht fassen kann. Nur ein Tausendstel, ein Zehntausendstel aller Greuel, von denen ich wufte, durfte ich andeuten - nur so viel, wie die Menschheit mit ihren stumpf en Organen und tragen Herzen gerade noch aufnehmen kann. Manch- mal, wahrend der Arbeit, kam ich mir wie ein Lugner vor, weil ich so viel Wahres verschwieg. Aber es war doch sch6n, zu denken, daB dies Zehn- tausendstel Ohren aufreiflen und Herzen zum Sturm anfachen k6nnte, bis sie Kraft genug haben, die ganze Wahrhelt zu horen und zu glauben, bis sie nicht mehr zaudern konnen, das Infame auszurotten. Aber, selbst wenn mein Buch ein Fehlschlag werden sollte, wenn mir der grole FanfarenstoB nicht gelungen Ist - 'was meine Kraft vermag, habe ich getan. Zu diesem Zweck, um meine Seete retten ztU k6tnen, war es weifB Gott notig, daB Ich das Land verlieB, fur das ich in Ostafrika im Weltkrieg ge- kampft, dem ich eine Steuer von sechs meiner besten Jahre entrichtet habe, und in dem mir vielleicht - nichts Besonderes passiert ware. 127
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