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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Robert Neumann, pp. 125-126
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Balder Olden, pp. 126-127
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Page 126
Mantelgasse drel Leichen, Folgenden Morgens waren es siebzehn. Und noch war der Monat nicht zerfallen in die Vergangenheit, da strich's die Gassen bin, sprengte Tore, brannte Hauser, knackte Schfadel, trat, trappte, bill, brach. Die Stadt lag in Schutt. Kahlgefressen und blank waren Men- schenknochen in alle Winde gestreut. Gestalten hockten in harter, flirrender Sonnenblue auf Schwellen, lehnten an Hauserwanden mit verwesten Ge- sichtern. Der Kutter der Republik Venedig war fiuhrerlos in die Steine ge- raten und an der Flanke geborsten. Von seinem zersplitterten Maste flackte im Wind ein gelbes Laken weithin. BALDER OLDEN 1882 geboren, schrieb vor 1933 eine Reihe den im Greifen-Verlag erscheinen. Olden von Romanen. darunter den antiimperia- lebt jetzt inUruguay. DernachstehendeBei- listiscen Kriegsroman ,,Kilimandscharo". trag ist Balder Oldens 1934 verbffentlichter Sein 'Carl-Peters-Roman ,Ich bin Ich" Absage an den Nazismus entnommen; wurde ein groller Eyfolg. Seine im Exil sie ersihien unter dem Titel: MIR WAilli geschriebenen Romane und Schriften wer- NICHTS BESONDERES PASSIERT: Ich geh6re zu denjenigen, die ,,viel zu frtih iiber die Grenze gegangen sind", denen nach Herrn Barthels beruhigenden Worten ,,nichts Besonderes passlert" ware, wenn ale das ,,Dritte Reich" erwartet und begruift hbtten. Ich war ja nur eln unpolitlscher Romancier. Mein Roman ,,Kilimandscharo" hatte zwar die tVberzeugung geweckt, dal3 ich den Krieg nicht fUr den Vater aller Dinge hielt und selbst einen so glorreichen Feldzug wie den 1914-18 In Afrika geftihrten verabscheute. Aber andererseits prangte mein Carl-Peters-Roman ,,Ich 'bin Ich" in vielen deutschnationalen Biicherschrdnken, zahlreiche Natio- nalisten hielten ihn irrtuimlich ffir die Verherrlichung eines der Ihren. Ala Nichtjude, als Frontkampfer, durch Jahrzehnte Mitarbeiter blirgerlicher, auch konservativer Zeitungen und Zeltschriften, war ich der Reichstagsbrand- stiftung vollig unverdachtig und batte weiterleben konnen wie ich bisher gelebt hatte. Ala ich den Staub Deutschlands schon lange von meinen Pan- toffeln geschtittelt hatte, erreichten mich noch wohlgemeinte Briefe inzwlschen gleichgeschalteter Redaktionen, ich sollte Beitrage senden, und im Exil wurde lch mit dem Rufe begrilft: ,,Was wollen Sie denn? Sie hatten doch wei13 Gott nicht zu fliehen brauchen!" bch babe diese Ansicht erst spater begriffen, erst vor kurzem eigentlich, als vier unserer beaten Dichter sich zu einem KompromiB mit dem Dritten Reich bereit erklarten. Mir war der Gedanke, die Hitlerregierung schweigend zu dulden, unvorstellbar. Ich wuite Ilngst, daB Hitler von all seinen Ver- sprechungen nur die Greuel wahrmachen wflrde, weil sie das Einzige waren, was er wahrmachen konnte. Brot hatte er nicht zu geben. Zu neuer Macht konnte er qas Reich nicht fuhren. Sein Geheimplan, dessen Ausfflhrung 'r keiner anderen Regierung gegonnt hatte, mit einem Schlag die Arbeitslosig- keit aus der Welt zu schaffen, blieb auch nach der Machtergreifung sein Geheimnis. Aber Zehntausende der tapfersten Deutschen zur Dauerfolter verdammen, den Geist in Eisen legen, sechshunderttausend Juden unter grail- lichster Seelenpein in den Hungertod treiben, Galgen und Schafotte fiber uaz Reich hinsaden, Inquisitionskammern In jedem Marktflecken des Landes er- richten, die Hochschulen in Kasernen verwandeln, die Freunde des internatio-
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