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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Karl Kraus, pp. 98-99
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Werner Kraft, pp. 99-100
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Alle besseren Dummheiten geschehen am Vormittag; der Mensch sollte erst erwachen, wenn die Amtsstunden zu Ende sind. Man kann sicher sein, dafj einer, der Henkelohren hat, nle auf den Vorwurf horen wird, sein Gesicht gleiche dem Nachttopf des Konigs Attila, sondern Im Glauben lebt, es gletche dem Bildnis des Dorian Gray. Kelne Spur von reulger Ergebung in die Einsicht, verpfuscht zu sein! Vielmehr lait die Zuversicht, die aus solchen Zflgen spricht, darauf schliel3en, der glulckliche Besitzer halte sein Gesicht fur die endguiltige unter den zahllosen moglichen Formen, ja filr eine solche, die bei kuinftigen Schopfungsakten als die allein maBgebende und modemachende In Betracht kommen wird. Die Schonheit ist viel zu ehrgeizig, urn sich ftir vollkommen zu halten; aber nichts geht uiber den Stolz der angeborenen Hallichkeit. * Der Fortschrltt felert Pyrrhusslege fiber die Natur. Der Fortschritt macht Portemonnaies aus Menschenhaut. Als der Mensch mit der Postkutsche reiste, kam die Welt besser fort, als da der Kommis durch die Luft fliegt. Was nultzt das Tempo, wenn unterwegs das Gehirn ausgeronnen ist? WERNER KRAFT 1896 In Hannover geboren, war dort Lyrik des 18. Jahrhunderts, fiber Franz Bibliothekar, emigrierte 1933 zunachst Kafka und Karl Kraus; seine ausgewahl- nach Schweden, spater nach Paris und ten Gedichte ,,Worte aus der Leere" er- lebt seit 1940 in Palastina. Er schrieb schienen 1937 in Jerusalem. Der ,,Fahre" u. a. Abhandlungen tiber H-Iofmannsthal, entnehmen wir das Gedicht auf den TOD Rudolf Borchardt, Rilke, fiber deutsche VON KARL KRAUS als eine kleine Probe: Nicht vorgesehn In deinem Arbeitsplan Ist dennoch er gekommen, weh, der Tod, Nun offnet meinem FulB die leere Bahn Der leere Raurn der leeren Zett: die Not. Nun ist es endlich und fur immer Nacht. Dahin mein Tag mit deines Geistes Taul Wie hab zu stillem Troste ich gedacht, Wo alles wankt, an deines Satzes Bau, In dem du lebtest, an der Sprache Wand... Dich suchte Nacht lfur Nacht das Gute heim. Der Segen flol in deine reine Hand. Bricht sie zusammen, birst der Schopfung Reim. Was ist geschehen? Der Lebend'ge ging. In seinem Atem Gottes war ein Rest. Die Asche, die von dir die Glut empning Des Geistes, nun den Guten hinterldBt. 99
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