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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Erich Knauf, pp. 95-96
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Kurt Kläber, p. 96
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Walter Kolbenhoff, pp. 96-97
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MUtter, vom Schrei der Kinder nach Brot krummgezogen - MUtter, an der Bahre des Erschlagenen, zu Mumien des h6olisch brennenden Schmerzes ver- steinert - MUtter, die mit einer zitternden Laterne uber das Schlachtfeld der Zeit gehen, ihr ermordetes Kind zu suchen - MUtter ohne Zahl, ein un- geheurer Anmarsch, gewaltig in seiner Trauer, ein Aufstand, wie noch keiner zuvor war: die MUtter kommen! Anbruch einer neuen Welt, deren Inhalt die Mutterlichkeit sein wird. KURT KLABER 1897 in Jena geboren, Schlosser bet ZeiB, ,Barrikaden an der Ruhr'. Roman: ,,Pas- spater Bergmann im Ruhrgebiet, Redak- sagiere der dritten Klasse". Im Exil ent- teur an Arbeiterzeitungen, Leiter der Ho- standen: ,,Die Toten in Potjanie" und chumer Arbeiterhochschule. sis 1933 als ,,Johann Gottlob Leberecht auf der Suche Journalist, freier Schriftsteller und Ver- nach Land". Der hier folgende Abschnitt leger tatig. Seit 1933 abwechselnd in stammt aus der vor 1933 geschriebenen Frankreich und der Schweiz. Gedichte: eindringlichen Novelle: DIE GESCHICH- .,Neue Saat", Novellen: ,Revolutionare", TE VON DER ANDEREN JOHANNE": Dann kam sie aber, die Johanne. Sie war klein, beweglich, eine Frau zwischen 23 und 24. Dunnarmig, kurzhaarig, blauweite Backen, ein spitzer, dunnlippiger Mund und die Augen. Sie varen so hell, wie sie scharf waren, sie waren so gut, wie sie giften konnten. Augen von einem Stier und einer Mutter waren es. Augen, wie sie eifie Johanna haben muB. Sie sprach noch weniger als der graue Mann. Aber scharfer und Uber- zeugender. Jedes Wort war wie ein Pfeil, war schon scharf und spitz, als es noch in ihren duinnen Lippen hockte, wurde gefahrlicher im Anfliegen, und wo es saB, wo es hineinfuhr, saB es wie ein stechender Schmerz, saB es wie ein bohrender Trieb. Ihre Worte ilberzeugten! Sie setzten in Brand! Alles jubelte der kleinen Frau zu. Was sie sprach. Ja, gegen die beiden. Erst gegen die Revolution und dann gegen den Geist. ,,Es gibt eine Mitte!" .-agte sie. ,,Etwas, was wir nicht erst ;churen miissen, und etwas, was wie der Geist erst wachsen muB. Sich einfach vor diesen Krieg hinstellen. Vor seine Generale, vor seine Kanonen, vor seine Soldaten, vor seine Schiffe, nicht mit Waffen, einfach mit uns selber, so wie wir sind, so wie wir aussehen. tYberall, an den Kasernen, in den Stralien, auf dem Bahnhof. Nicht abwurgen, nicht totreden, ersticken miissen wir den Krieg. Und nicht erst nach Monaten, schon heute nacht, morgen, jdden Tag, wie ein Brei missen wir uns in seine Rader werfen!". . WALTER KOLBENHOFF Erst nach vielen Jahren ruheloser Fahr- ging er wieder auBer Landes. Er eml- ten durch Europa, Nordafrika und Klein- grierte nach Dlinemark. Dort erschienen asien, nach wechselnden Tiltigkeiten als sein erster Roman .,Untermenschen" und Gelegenheitsarbeiter und Stral3ensanger einige Gedichtbande. Aus dem im ,,Hori- wurde der 1908 in Berlin Geborene seB- zont" vorabgedruckten Roman Kolbenhoffs haft und avancierte zum Schriftsteller. ,,AUS UNSEREM FLEISCH UND BLUT" Aber nicht ftir immer, dean schon 1933 geben wir einen kurzen Abschnitt wieder: Draullen, auf einer zersplitterten Holztfir, die der Luftdruck aus den Angeln gehoben und in das Gerlimpel geschleudert hatte, saBl ein Hund und starrte winselnd in das Gemauer. Sein Schatten ging uber die zersplitterte TU- hinaus und zerbrach in den Steinen. Die BeschIlge an seinem Halsband glarizten matt. Sein Winseln war leise und durchdringend, es kroch uber die Steine, quetschte sich in Spalten und Fugen, drang in Krater und Keller und
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