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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Egon Erwin Kisch, pp. 94-95
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Erich Knauf, pp. 95-96
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der Nachbarhauser getrieben und von dort auf deren Nachbarhauser und so fort und so fort, bis ganz Chikago in hellem Feuer stand. Erst am Diens. tag hielt der umhertollende Wind erhitzt inne. Siebzehntausend Hauser, hblzerne und granitene, waren niedergebrannt oder eingestirat, hundert. neunzig Millionen Dollar meldete man als Schadenersatz bei den Versiche- rungsgesellschaften an, die sich daraufhin eilends in Konkurs begaben; 98000 Personen waren obdachlos, Oiber zweihundert in den Flammen um- gekommen, etwa tausend verwundet. Die groBe beh6rdliche Untersuchung stellte die Schuld der der Frau O'Leary gehorigen Kuh zweifelsfrel fast. Daraufhin wurde das Halten von Vieh innerhalb de& Weichbildes von Chi- kago verboten. ERICH KINAUF 1895 in Meerane geboren, 1915 bis 1918 nunziation durch elnen Offitier war der Weltkriegsteilnehmer, nach dem Krieg Anlal, ihn musammen mit seinem Freund, Mitarbeiter an verschiedenen Zeitungen dem Zeichner E. 0. Plauen, erneut zu ver- und Zeitsqhriften, kam 1928 als Lektor zur haften. Er wurde zum Tode verurteilt und Btichergilde Gutenberg, *arbeitete spkter am 2. Mai 1944 hingerichtet. Neben zahl- wieder bet der Presse, bis er auf Grund reichen Gedichten ragen aus seinem Schaf- eines Artikels verhaftet und ftlr kurze fen .besonders eina Daumier-Biographie Zeit ins KZ Oranliepburg gebracht wurde. sowie eine Zusammenstellung von Ktinst- Aus der Reichspressekammer ausgeschlos- lerprofilen ,,EMPORUNG UND GESTAL- sen, war Knauf nach seiner Entlassung TUNG" hervor, aus der wir einige das &Is Verfasser von Liedertexten beim Film Wesen der KtInstlerin Kathe Kollwits tatig. Eine besonders niedertrimchtige De- eindringlich erfassende Saitze wiedergeben; Bedeutende Ktinstler hatten vor ihr revolutionare Szenen gemalt und ge- zeichnet, hatten leidenschaftdurchflammte Barrikadenkampfer und Martyrer dargestellt. Kathe Kollwitz schaffte etwas ganz Neues. Sie sprach das Wort Revolution aus und weinte dabei. Sie weinte iiber die Notwendigkeiten der Gewalt und des Menschenopfers. Sie vergol3 Tranen, wie sie spater Toller und Romain Rolland weinten. Diese als unweiblich und grobknochig ver- schriene Frau hat das guitigste Herz von der Welt. Da sie aus Mitleid revo- lutionar werden muB, greift sie zur verzehrenden Flamme, aber sie ist noch Im Ansturm von Mitleid erfiillt. Radierung und Lithographie gaben nicht mehr die Mittel her, diesen Sturm der GefUhle umzusetzen. Die Hand wollte tief in den Schmerz bohren, Narben spilren, breite Flachen sch~yarzer Trauer umfassen. Kathe Kollwitz kam zum Holzschnitt, zur strengsten der graphi- schen Kunste, und jetzt hatte sie es, das Ungeheure. Die Wucht ihres Schmerzes warf sich auf diese scharfkantige Schwarz-Weiia-Kunst, deren Wesen es ist, nur dem starksten Willen und dem entschiedensten Formgeftihl gehorsam zu sein. Kathe Kollwitz zerfetzte die Holzplatte mit fieberhaft erregten Schnitten, oder sie setzte die Kontraste hart neben hart wie filrchter- liche Tatsachen und drohende Rufzeichen. Die Furie Gegenwart forderte ihre immer knapper und eindeutlger werdende Kunst heraus. Auf den kurzen Aufschrei der Niedergerittenen, auf den An- lauf zur Revolution antworteten neue Attacken und' Blutgemetzel. Hunger und Schmach wurgten die Kehlen. Kathe Kollwitz bekannte sich wie die Mutter im starksten Roman Gorkis zu den Attackierten: von dem geliebten Leichnam des geopferten Kindes erhebt sie Ihr Eroffnerantlitz, das von Schmerz und Gute' durchleuchtete, und steht auf gegen den Krieg und alle Gewalt.
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