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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Franz Kafka, pp. 83-84
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Gina Kaus, p. 84
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Page 84
Treppe durch alle Range hinab, stfirzte in die Manege, riefe aus: Halt! durch die Fanfaren des immer sich anpassenden Orchesters. Da es aber nicht so ist; eine schone Dame, weid und rot, hereinfliegt, zwi- schen den Vorhangen, welche die stolzen Livrierten vor ihr offnen; der Di- rektor hingebungsvoll 1ihre Augen suchend, in Tierhaltung ihr entgegen- atmet; vorsorglich sie auf den Apfelschimmel hebt, als wdre sie seine fiber alles geliebte Enkelin, die sich auf gefahi-liche Fahrt begibt; sich nicht ent- schlielien kann, das Peltschenzeichen zu geben; schliefflich in Selbsttiberwin- dung es knallend gibt; neben dem Pferde mit offenem Munde einherlauft; die Sprunge der Reiteri scharfen Blickes verfolgt; ihre Kunstfertigkelt kaum begreifen kann; mit englischen Ausrufen zu warnen versucht; die reifenhaltenden Reitknechte wiltend zu peinlichster Achtsamkeit ermabaht; vor dem grofden Saltomortale das Orchester mit aufgehobenen Handen be- schwbrt, es m6chte schweigen; schlieSlich die Kleine vom zitternden Pferde hebt, auf beide Backen kiiit und keine Huldigung des Publikums ffir ge- rntigend erachtet; wahrend sie selbst, von ihm gestutzt, noch auf den FuB- uoitzen, vom Staub umweht, mit ausgebreiteten Armen, zuruickgelehntem K6pfchen ihr Gluck mit dem ganzen Zirkus teilen will - da dies so ist, legt der Galeriebesucher das Gesicht auf die Brfstung und, im SchluB3- marsch wie in einern schweren Traum versinkend, weint er, ohne es zu wissen. GINA KAUS In Wien geboren; thre felnen psycholo- mung verscbledener Romano In Holly- gischen Romane wurden in fast alle Spra- wood mit. DaB sie neben ihrer tiefgrUn- chen der Welt t1bersetzt. Sie erreichte digen Psychologie auch tUber die Mittel in ihrem jUngsten, im Exil erschienenen des Satirischen verfllgt, bezeugt ein Ab- Roman .,Melanie" (Green is the Devil) schnitt aus ihrer 1931 erschienenen Be- hohe Reife und arbeitete an der Verfll- trachtung: ,,GltCK BEI MANNERN": Im Laufe der Jahrtausende haben Mdnner Sanze Bibliotheken iiber die Frauen vollgeschrieben. Sie haben die Frauen beobachtet und analysiert, aagebetet und verachtet. Jede Generation hat ihr weibliches Ideal verherr- licht, jede ihren weiblichen Teufel an die Wand gemalt, von der Schlangen- freund~r Eva angefangen bis zur hysterischen Strindberg-Canaille. Alle Wertungen weiblicher Charaktere sind von Mannern aufgestellt worden, Manner haben die weiblichen Tugenden and die weiblichen Laster zu Tugen- den und Lastern gestempelt, und aus dem Munde der Manner wissen wir, wie sie die Frauen haben wollen und wie sie sie verabscheuen. Um es iturz zu machen: Je mehr Fehler im Sinne der mannlichen Wer- tung eine Frau besitzt, desto mehr Glifck hat sie bei den Mannern. Wobel die Frage offenbleiben mag, ob ein krankhafter Masochismus die Manner verdammt, zu begehren, was sie verabscheuen, oder ob eine gesunde Not- wehr ilhnen befiehlt, wenigstens mit dem Kopf zu verabscheuen, was sie begehren miissen. Seit Noahs Zeiten klagen die Manner fiber der Welber Eitelkelt und Tor- heit. Aber fUr eine schick gekleidete Frau geben sie sechs ebenmalige Schdnheiten in Kitteln vom vorvergangenen Jahr, jede gescheite Frau ist ihnen ein Greuel, und jede wirklich gescheite Frau weiB das und bemuiht sich, wenigstens ab und zu etwas sehr Torichtes zu sagen: zum Beispiel, dal3 sie den Mann, mit dem sie gerade spricht, fUr besonders klug halt.
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