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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Hans Arno Joachim, pp. 79-80
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Georg Kaiser, pp. 80-82
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den Dichter zum Schriftsteller macht, sie gehen eins mit dem Leben, das nicht gut und nicht bose ist, sondern grausam gemischt. Sie stellen dar. Abgerechnet, daB sie historische Romane sind, sind sie aktuell. Denn ihre Humanitat ist rechthaberisch gemeint, wenn sie ingrimmig wird, entlarvend, zynisch. Sie bringt an der Historie die Bilanz der Enttduschtheit zur An- wendung, die von heute ist.' GEOUG KAISER Neben Carl Sternheim elne der graiiten von den in her Schweiz lebenden deut- dramatischen Begabungen der Vor-Hitler- schen Schriftstellern zum Ehrenprtsiden- zeit, 1878 in Magdeburg geboren, schrieb ten ernannt. Im Exil schrieb er u. a. die 56 Btihnenwerke, darunter ,,Der BUrger Sttlcke: ,Der Soldat Tanaka", ,,Das Floa von Calais", *,H6lle, Weg, Erde", ,,Gas", der Medusa". ,,Der Girtner von Toulouse", ,,von morgens bis mnitternachts", *,Ok- Zeitsatiren und Gedichte. -Aus dem Schau- tobertag", ,,Zweimal Oliver". Er ist 1945 spiel ,,ZWEIMAL OLIVER", das seinerzeit in Ascona, seinem Schweixer Exil, ge- im Verlag die Schmiede, Berlin, erschienen storben. Kurz vor seinem Tode wurde er ist, folgt hier eine charakteristische Probe: In der Irrenanstalt das Auditorium: ansteigende Sitzreihen hinten, Fenster- wand rechts, Tiir links. Unterarzte, deren Anzahl groB ist - in wei83-n Mdnteln - stehen gruppenweise, geddmpfte Unterhaltung fulhrend. Chefarzt kommt. Die Unterarzte besetzen die Bankreihen. Ein Unterafzt gibt dem Chefarzt ein Aktenbund. Chefarzt blttert. ,,Es ist der Fall des Artisten Oliver. Von der Polizei wurde der Mann, der einen Mord verubt hat, bel uns eingeliefert zur Beobachtung des Geistes- zustandes. Ich rekapituliere kurz die Vorgeschichte der Mordtat: Oliver, ein mittelmlBiger Vertreter seines Fachs, erhdlt eines Tages von einer Dame den Auftrag, sich in die Gestalt eines ihrer Freunde - oder Ihres Freundes zu verkleiden. So soll Oliver den vorlidufig abwesenden Freund ersetzen. Das tut Oliver - gegen Bezahlung. Spater kehrt der wirkliche Freund aus dem Ausland - oder sonstwoher zuruck. Oliver, der sich inzwischen in die Dame verliebt hat, will von seinem Platz nicht weichen - t6tet im Variet6 den Nebenbuhler. Bei seiner Verhaftung schweigt Oliver hartnackig. Er stellt sich tot (Die Akten schlielend.) Soweit die polizeilichen Ermittlungen - (mit Ldcheln aufblickend) - wie ste mit geradezu beispielhafter Deduktion die falsehe Wirklichkeit einsetzen. Es hat nanmlich keineswegs dieser Oliver mit dem Motiv der Eifersucht den PchulB abgegeben - vielmehr die Handlung eines Selbstmordes liegt vollkommen plausibel vor bei Oliver, der sich erschoa, um eine Kette privater furbchterlicher Verwicklungen mit einem Gewalt- streich zu zerreilen. Durchaus konsequent vernichtete er die Maske, die ihm nichts mehr nutzen konnte, wobei er im Schwindel hochster Verwirrung sich mit seinem Gegenuiber verwechselte und in dem andern sich selbst um- brachte. - Aber auch diese nachtraglichen Deutungen seiner Tat inter- essieren nicht nachhaltig. Das *esentliche Moment ist: Dieser Mensch halt sich fUr tot - wdhrend er lebt! - Seit dem Augenblick seiner Sistierung hat er mit Willer kein Zeichen von Belebtheit gegeben. Beim Versuch ihn auf die FuBe zu stellen, fiel er um. Nahrung ldlt er sich nur durch den zwangsweise geloc]terten Mund einflbBen. Die Temperatur ist normal - Gewicht bleibt unverdndert. tiber die Fortschritte der Storung seines Bewuat- seins kann uns nur der Zufall orieptieren. Bis jetzt miilang es, ihm zum so
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