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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Kurt Hiller, pp. 70-71
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Arthur Holitscher, pp. 71-72
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Ste wollen nicht eOne Klasse befrelen; sie wollen die Menschheit befrelen; ase wollen sie nicht von okonomischen Noten befreien; sie wollen sie von aller Not befreien, physischer und metaphysischer. Sie wollen nicht das BewuBtsein befreien, sondern das Geschopf; nicht jenseits, sondern hier. Sle wollen nicht irgend-wann-einmal, sie wollen morgen befreien; aber sie wissen, daB sich kein Endziel abstecken lIlit, daB sie Befreierische sind, grenzenlos und ewig, daBa jedes Morgen ein Morgen hat, daB des Geistes Aufgabe unendlich ist... Besteht noch ein Zweifel dartiber, was ftir Menschen den Bund bilden sollen? Wer des Geistes ist? Der Weise nicht; dem fehlt Verwirkllchungswille. Der Kiinstler nicht; dem fehlt Ethos (und oft logische Sauberkeit). Der Gelehrte nicht; dem fehlt Universalitat. Der Wohlfahrtsmann nicht; dem fehlt das Geheimnis. So wird es am Ende der Literat sein - wofern man sich frei macht von einem (leider noch Nietzsche gelaufigen) Wortgebrauch, wonach ,,Literat" den Skribenten mindern Kalibers, insonderheit den Unursprtinglichen, tYber- nommenes Bearbeitenden, Zeugungsschwachen, den Vermittler, also Ver- wasserer und Zerschwatzer geistiger Werte, den Makler des Geistes be- zeichnet, etwa das, was wir heute ,,Feuilletonist" nennen. Eine neue Zeit schafft neue Begriffe ... und mul3 sich vielfach mit alten Worten begnugen. Der Literat von morgen wird der groBe Verantwortliche sein; der Geistige in Reinzucht;, denkend, doch untheoretisch; tief, doch weltlich. Nicht nur, daL der Intellekt in ihm die Tat nicht mehr hei imt: all sein Intellekt wird zur Tat hinzielen. Er ist der Aufrufende, der Verwirklichende, der Prophet, der Filinrer. Ein starkster Typus seit Jahrhunderten: Grundsteinleger der topischen Utopie. Hervor wachst er aus denen, die bislang als Weise oder als Gelehrte oder als Wohlfahrtsmanner oder irgendwie abseitig lebten: in ein paar Exemplaren bluiht er schon; die gilt es zusammenzufassen. Aber in keinen Goethe-Bund, ARTHUR HOLITSCHER 1869 In Budapest geboren, schrieb Romane tungsgabe und warmer Menschlichkeit und Dramen und die -autobiographische zeugen. Er ist ipi Exil gestorben. - tiber ,Lebensgeschichte eines Rebellen", ferner einen BESUCH BEI GANDHI, den Arthur eine Reihe von aulerordentlichen Reise- Holitscher 1926 aufgesucht hat, Lesen wir baichern, die von eindringlicher Beobach- in seiner eindringlichen Darstellungsart: Gandhi 1st ein mittelgroBer, schmachtiger Mann mit kleinem Kopf auf dilnnem Halse. $Der Korper ist jetzt infolge der anstrengenden Fahrt durch das Cutch-Gebiet besonders abgemagert. Gandhi trdgt einen kurzen Lenden- Oberschurz aus weiBer Leinwand, ist im iibrigen vollkommen nackt. Der Oberkdrper tief braun, der Brustkorb maJ3ig gewolbt, mit diinnem, schwarzem Haarwuchs. Hdnde und Fulie sind von etwas hellerer Farbung. Das Gesicht zeigt eine breite, abgeplattete Nase, die den kurzgeschnittenen Schnurrbart Gber den breiten, diinnen Lippen halb verdeckt. Die Kinnpartie ist klein im Vergleich zur operen, voll entwickelten Halfte des Gesichtes. Im Unterkiefer fehlen die mittleren Zahne. Die Stirn ist nicht auffallend, wie ilberhaupt an der ganzen Gestalt, an dem ganzen Gesicht, das nicht schon genanat werien kann, nichts Auffallendes zu bemerken ist. Die sehr grollen, doch 71
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