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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Max Herrmann-Neisse, pp. 68-69
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Franz Hessel, p. 69
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Leidenschaft des Miterlebens klarblickend zur Umwelt Stellung nimmt, wie es Daurnier, Rowlandson, Masereel usw. taten und tun, entschleden, mit einer gan7 bestinmmten Initiative auf den aktuell politischen Kampfplatz getreten. Die polemischen Bilderbucher ,,Das Gesicht der herrschenden Klasse" und ,,Abrechnung folgt" enthalten Zeichnungen, die klassisch Lie politischen und sozialen Verhaltnisse im heutigen Deutschland In sinn- filligsten politischen Anschauungsunterricht und unverwuistlich praktisches Kampfmittel umsetzen. Souverane technische Meisterschaft stellt sich ent- schiedenu auf die Seite der Vergewaltigten: die Schwachen, Schaden, Ver- ruchtheiten der geltenden gesellschaftlichen Gliederung und des iiblichen Herrschaftssystems werden in zeichnerisch geistvollen, bilderbogenklaren, den Einfaltigsten iiberwaltigenden, handfesten, markanten Demonstrationen auf die schlagendste Pointe gebracht. Schonungslos scharfe Mottos machen jas Resultat jeden Blattes auch dem stumpfesten Gemiite aufreizend klar. Mhe Bildwerk und Motto zusammengehen, beidq an Sarkasmus und Pointen- wucht gleichwertig sind: ein derartiges, wirklich praktisches ,,Gesamtkunst- werk" ist fdr Deutschland etwas durchaus Neues. George Grosz, Genie heutiger deutscher Mal- und Zelchenkunst, hat die grole Vberlegenheit einer unbestechlichen Kritik an dem, was ist; weist jeder angemal~ten Autoritat ihre Fratze; liefert dem Kampfe der auf- steigenden Schicht die wirksamste, anschaulichste Faktensammlung und postiert auf der Brucke zur Zukunft die Monumentalfiguren seiner ebenso aktuellen, wie zeitlos wahrheitsgetreuen Menschheitsportrats. FRANZ IIESSEL 1880 In Berlin geboren, war der Dichter ist, nach langer Ilaft In einemn Internfe- impressionistisch gesehener Prosa und irungslager, in Frankreich gestorben. Zu zarter Romane und Emrzhlungen. Er hat , seinem Gedenken stehe hier eine kleine sich such als ttbersetzer betatigt und war Betrachtung, die bezeichnend fair die im- Nitarbeiter der ,Literarischen Welt". Er pressionistische Art seiner Darstellung ist. Aber was rate ich nun dem Bekannten, dem Fremden, der um Rat fragt, ID welchem Teil der groBen Stadt sein Zimmer durch Abend und Morgen gleiten soll? Es ist ja eigentlich gleichgilltig wo. Je anonymer Haus, StraBe und Carrefour ist, um so mehr bist du in Paris. Paris, das ist der schmale Gitterbalkon vor tausend Fenstern, die rote Blechzigarre vor tausend Tabakverschleilen, die Zinkplatte der Aleinen Bar, die Katze der Concierge. Man kann also irgendwo wohnen. Man m6chte aber auch uberall wohnen, mochte Einschlafen und Aufwachen jedes Stadtviertels miterleben. Bist du lange ziellos durch die Stadt gewandert, bekommst du Lust, da schlafen zu gehen, wo du gerade mude geworden bist, an einem Platz etwa, der, nitten im Getriebe, die plotzliche Stille eines baurnbestandenen Squares um- gib;, wo man aus dem Hotelfenster auf fahlgrune Wipfel und die kleinen verlassenen Sandhaufen eines Kinderspielplatzes sehen wird. Oder an einemn, der ganz Stein ist und eindringlich seinen Kreis, sein Vier- oder Achteck um eine Saule, ein Standbild, einen Brunnen zeiehnet und diese zu Erennpunkten macht, auf welche aus munidenden Straten das Leben zustrebt, imn Ansturm umgebogen und in den Tanz des Platzes eingefangen, einen Tanz, der als Erinnerung die ganze Nacht sonor und leise uiber dem PfrD ste'- weiterschwingt. 69
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