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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Stefan Grossmann, pp. 51-52
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STEFAN GROSSMANN 1875 in Wien geboren, begann mit zarten Schwarzschild als ,,Neues Tagebuch" Im Novellen, schrieb politische Romane: ,,Die Exil fortgeftihrt wurde. Stefan GroBmann Partei" und ,,Chefredakteur Roth fthrt erlag, von der Gestapo verfolgt, einem Krieg" sowie die Autobiographie .,lch war Herzleiden. Der hier folgende NACHRUF begeistert". Er war Begrtlnder und Her- AUF MICH SELEST, den er viele Jahre ausgeber des ,,Tagebuches", das spater vor seinem Tode im Tagebuch verbffent- von seinem Mitherausgeber .Leopold licht hat, wurde im Mai 1925 geschrieben: Das Redaktionstelephon klingelte, ,,Schreiben Sie den Nachruf fur Stefan Grolmann?" Gerne. Nekrologe-Schreiben ist ein Vergntigen. Man kann Milde und Tticke, Gerechtigkeit und Rache, Objektivitat und Abneigung zu elnem suiffigen Drink mischen, und der Tote mu2 schweigen. Ja, ich schrelbe del Nachruf fUr Stefan GroBmann. Ich brauche eine Formel f(ir ihn. War er ein Zeltungschrelber? Sicher gehorte er zu den funf oder sechs deutschen Journalisten aus Passion, aber sein Liebesverhaltnis zur Zeitung war allmahlich zur Strindberg-Ehe aus- geartet, er hielt es bei keiner Zeitung aus, vor allem nicht bei seiner eigenen. Was war er denn? Er verpfuschte seine Zeitungsarbeit durch seine Phan- tasie, und er verdarb seine Phantasie durchc{einingsmache. Zugegeben, seine Novelle ,,Der Vorleser der Kaiserin", im September 1914 geschrieben, Im Oktober 1914 in der ,,Neuen Rundschau" erschienen, war die erste lite- rarische Arbeit, die in Deutschland die Herzen gegen den Krieg weckte. Warum blieb er nie bei der Stange? Warum schwoll seine Stimme nicht an? Warum fioh er immer wieder vom Sein in den Schein, vom Leben ins Theater und wieder zuruick, von der Leere des ausgeraumten Theaterr ernUchtert, in die volle Welt der Realen? So verpfuschte er sich Schein wie Sein. Zugegeben, Gro~manns Erzahlung uber den armen Prinzip, dem man den Weltkrieg, welchen er entfesselt hat, verheimlichte, war eine 1915 geschriebene Vorwegnahme kiinftiger grausiger Vorgange, warum ist seine dichterische Phantasie immer abhangig gewesen von Depeschen des Wolff- Buros? Vom Standpunkt des Journalisten gesehen war Grogmann un- zuverlassig. Vom Standpunkt seines dichterischen Talentes gesehen hat GroBmann sich selbst zu oft verlassen. Er hat, zugegeben, seiner, Zeit ge- dient, aber die Zeit muBte auch ihm dienen. Er fraB die Ereignisse, aber die Ereignisse haben au'h ihn gefressen. Als damals sein Roman ,,Die Partei" erschien, schrieb Paul Ernst, GroBmann mulsse sich hinsetzen und in einigen grol3en Romanen das Bild der deutschen GroBstadt malen, den unbarm- herzigen Journalisten-Roman, den von keinem auch nur angefangenen Richterroman, den Roman der demolierten Ehe. Grolmann hat all das nicht elnmal versprochen, dennoch ist er es schuldig geblieben. Er hat sich immer wieder der Gegenwart preisgegeben, und so verdarb er sich sein bilchen Ewigkeit. Mit funfzig Jahren, erst begann er sich ein wenig zu sammeln, dieser immer Zerstreute. So ware mein Nqkrolog fertig, die Trauer um den Verblichenen ware richtig mit einem leisen Kichern gemengt. Wie aber, wenn die Todesnachricht falsch war und der Nachruf zehn, zwanzig Jahre ungedruckt bleibt? Wie, wenn jetzt erst die reife Arbeit Grofimanns beginnt? Wie, wenn dies alles bloB' Vorarbeit war und Vorerlebnis? Wie, wenn ich jetzt erst, entfernter von einer Gegenwart, die mir fremd zu werden beginnt, zu meiner Samm- 61
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