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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Leonhard Frank, pp. 43-45
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Sigmund Freud, pp. 45-46
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,,Warum?" fragte sie In ungeheurem Erstaunen. ,,Warum kommen Sie mir mit Ihren heiligsten Giitern daher? Ste . . . stehen da und verkaufen Ihr Zeug." ,,Wir werden siegen", sagte der Mann einfach. ,,Dann ist der Krieg aus." Als hatte er ihr eine weiBgltihende Eisenstange wie eine LangsaeThse In den K1(rper gestoBen, bei der Schadeldecke hinein und beim Unterleib heraus, drehte sie sich einmal blitzschnell um sich selbst, herum- geschleudert vom h6llischen Schmerze, der ihr Herz gesprengt hatte mit der Vorstellung: der Krieg ist aus, alle Menschen freuen sich grenzenlos ... und mein Mann ist tot, kommt nicht zuruick. Kommt nie mehr! ,,Und was wird dann mit mir? He? Sie! He, was wird dann mit mir? He! He!" ,,Sagen Sie mal, bin icli denn Schuld daran? Sie tun ja gerade, als ob ich . . . was kann ich dafur." I Von einem Blitze der Intuition grellweilB erleuchtet, erkannte sie: ,,Ja, du bist schuld, du, du ... ihr Hunde! Ihr alle seid schuld daran. Alle!" Da konnte der Kaufmann nur die Schultern heben, wie er tat, wenn er elne Ware nicht billiger abgeben wollte. Und als sie schon hinausgerast war auf die verkehrsreiche Stralle, sprach er noch: ,,Sie werden todsicher eingesperrt. Sie sperrt man ja glatt ein ... Ihren Geldbeutel vergift sie auch noch. Die scheint endgiiltig narrisch zu sein . . . SIGMUND FREUD 1856 geboren, weltbertlhmter BegrUnder gestorben ist, geehrt von der ganzen der Psychoanalyse und Verfasser zahl- Welt, verfemt allein von denen, die reicher psychoanalytischerSchriften, wurde glaubten, der Geist lasse sich durch Feuer 1885 Privatdozent in Wien, wo er von und Schwert fUr immer auslbschen. Seine 1912 bis 1920 als aul3erordentlicher Pro- ,.Gesammelten Werke" erschienen in Lon- fessor wirkte. Seine Schriften wurden don. - Die Entdeckung der unbewulSt unter dem arroganten Bannfluch der Nazi- wirkenden Seelenkrafte und Trielbe, ihre Studenten, die 1933 den Btlcher-Scheiter- systematische Erforschung bedeutete eine haufen errichteten, verbrannt: ,,Gegen Revolution unseres Wissens vom Men- die seelenzerstbrerische tUberschltzung des schen. Aus Sigmund Freuds vor 1933 ge- Geschlechtslebens, fUr den Adel der schriebener und damals viel diskutierter menschlichen Seele tibergebe ich die Schrift: ,,DAS UNBEHAGEN AN DER Werke Sigmund Freuds dem Feuer." KULTUR" zitieren wir den folgenden, Freud emigrierte nach London, wo er 1939 auch jetzt noch sehr aktuellen Abschnitt: Ich kann wenigstens ohne Entrfistung den Kritiker anh6ren, der meint, wenn man die Ziele der Kulturstrebung und die Mittel, deren sie sich bedient, Ins Auge fafit, musse man zu dem Schlusse kommen, die ganze Anstrengung sei nicht der Muhe wert, und das Ergebnis k6nne nur ein Zustand sein, den der einzelne unertraglich finden muB. Meine Unpartellichkeit wird mir dadurch leicht, daB ich fiber all diese Dinge sehr wenig weiB3. Mit Sicherheit nur das eine, dal3 die Werturtelle der Menschen unbedingt von ihren Gltick- wilnschen geleltet werden, also ein Versuch sind, ihre Illusion mit Argu- menten zu sttitzen. Ich versttinde es sehr wohl, wenn jemand den zwangs- laufigen Charakter der menschlichen Kultur hervorheben und z. B. sagen wurde, die Neigung zur Einschrdnkung des Sexuallebens oder zur Durch- setzung des Humanitatsideals auf Kosten der nattrlichen Auslese seien Entwicklungseinrichtungen, die sich nicht abwenden und nicht ablenken lassen, und denen man sich am besten beugt, wie wenn es Naturnotwendig- keiten waren. Ich kenne auch die Einwendung dagegen, daB solche Strebun- gen, die man fUr unuberwindbar hielt, oft im Laufe der Menschheitsgeschiebte
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