Page View
Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Leonhard Frank, pp. 43-45
PDF (636.9 KB)
Page 44
Ihrem t8dlichen Schicksale unterstellt, lehnte sie zermilrbt und verbraucht am Ladentisch. Und als der Kolonialwarenhandler den Tagesbericht vorlas: ,,Unsere todes- mutigen Heiden verteidigten mit bewunderungswurdiger Tapferkeit . . . jedin Handbreit Boden", bat sie mit diinner Stimme, er moge ihr doch die dre' TUten zusammen in eine Tilte geben, so sei's leichter zu tragen. ,,Handbreit Boden! Handbreit!" schrie die Agentenwitwe und erblickte, von Wut und- Abscheu in die Vision hochgerissen, ein nur handgroBcs Stlck Erde, auf dem sich eine ungeheure Pyramide von hunderttausend zerfetzten Slegern und Besiegten erhob. Der alte Kolonialwarenhandler erschrak, als seinem beifallslisternen Patriotenblick ein von Mordwut verzerrtes, wildes Frauenantlitz entgegen- gestellt wurde. Instinktiv fluchtete er in das Wort hinein: ,,Sie sterben den Heldentod, auf dem Felde der Ehre." ,,Ja, Feld der Ehre! Ihr habt meinen Mann erschlagen. Mein Mann 1st tot. Tot!" ,,Aber Frau! Und die Heimaterde? Die muB3 doch schlieBlich verteidigt werden. Unsere heiligsten Giter stehen auf dem Spiele." Die Gedankenfetzen: ,,Giiter, heilig . . . Pfterschuppen steht auf dem gpiele, Heimat . . . B6rsenspiel mit Heimaterde", passierten das Witwen- gehirn. Sie schleuderte die gefllte Tite zurtick. ,,Ah, Was! Heiligste Gtiter! Mein Mann war mein helligstes Gut. Er lebte, hatte Augen, verstehen Sie - Augen! Hatte Arme, die er um mich herumlegen konnte, und hatte hatte, hatte, hatte - war mein Mann. Ja, glotzen Sie mich nur an. Ist mir gleichgultig. Was sind denn eigentlich die heiligsten Giter? Wo denn? Ich hab' sie nicht! Ich hab' weder heilige noch andere! Heilig! Nichts als Ltlge und Schwindel! Schwindel! Ah . . . Ihr Hunde!" ,,Aber Frau! Sie machen sich ja unglticklich, werden eingesperrt, das prophezeie ich Ihnen, wenn Sie so tiber ... unsere heiligsten Gtter sprechen." ,,Ich eingesperrt?" Unvermittelt fuhlte der Kaufmann die Macht der Kriegerwitwe, legte einen geradeliegenden Notizblock gerade. Alter Schmerz hatte der anderen Kriegerwitwe die Brauen hochgezogen, daB die Stirn nur noch aus drei dicken Querfalten bestand. Aus ihren Wunden liefen zwel Tranen heraus, glitten schnell in die Wangenlocher, in den offenen Ilund hinein. Ob sie noch etwas Malzkaffee dazubekommen konne. fire langsame Hand schob das Geldsttick hin. ,,Einsperren? Das wollen wir sehen, ob die mich auch noch einsperren." ,,Liebe Frau, hier dtirfen Sie nicht so reden, hier bet mir... Sie milssen sich trosten, mUassen sich trosten. Da hilft alles nichts. Vielen geht es so wie Ihnen. Ja, es geht Millionen so." ,,Dann halt adieu, wenn Sie keinen Malzkaffee haben" sagte die andere Kriegerwitwe. Das Trdnenwasser lief in den gewohnten Bahnen herunter, schaukelte am Klnn. Die mit den drei kleinen Ttiten gefUllte groBe Tute in die konkave Brust hineingepreilt, ging sie langsam hinaus. ,,Was gehen mich die andern an. Und wenn es zehn Millionen so geht. Das gibt mir meinen Mann nicht zurtick." Der Schmerz hockte und htipfte in ihremn zuckenden Gesicht. ,,Mein Mann ist fort, tot, weg, kommt nie mehr, nie mehr. Verstehen Sie: nie mehr!" ,,Ist ja wahr, aber warum sagen Sie denn mir das alles? Habe ich den Krieg gemacht? Warum sagen Sle mir das alles?"
Copyright 1947 by Heinz Ullstein--Helmut Kindler Verlag.| For information on re-use see: http://digital.library.wisc.edu/1711.dl/Copyright