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Drews, Richard; Kantorowicz, Alfred, 1899- (ed.) / Verboten and verbrannt, deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt
([1947])
Alfred Döblin, pp. 32-33
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Bernhard Diebold, p. 33
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Und das Kdlbehen: Prrr-rrr, ganz ganz starr, steif, gestreckt sind die Beinchen. Die schwarzen samtenen Augen des Kalbehens sind pltzlich sehr grol3, stehen still, sind weiB umrandet, jetzt drehen sie sich zur Seite. Der Mann kennt das schon, ja, so blicken die Tiere, aber wir haben heute noch viel zu tun, wir muiissen weitermachen, und er sucht unter dem Kalbchen auf der Bank, sein Messer liegt da, mit dem FuB schiebt er unten die Schale fur! das Blut zurecht. Dann ritsch, quer durch den Hals das Messer gezogen, durch die Kehle, alle Knorpel durch, die Luft entweicht, seitlich die Muskeln durch, der Kopf hat keinen Halt mehr, der Kopf klappt abwarts gegen die Bank. Das Blut spritzt, eine schwarzrote dicke Fltissigkeit mit Luftblasen. So, das ware geschehen. Aber er schneidet ruhig und mit unverianderter friedlicher Miene tiefer, er sucht und tastet mit dem Messer In der Tiefe, stolft zwischen zwei Wirbeln durcjh, es ist ein sehr junges weiches Gewebe. Dann lWlAt er die Hand von dem Tier, das Messer klappert auf die Bank. Er wascht sich die Hande In einem Eimer und geht weg. Und nun liegt das Tier allein jammerlich auf der Seite, wie er es angebunden hat. In der Halle larmt es tiberall lustig, man arbeitet, schleppt, ruft sich zu. Schrecklich hangt der Kopf abgeklappt am Fell herunter, zwischen den beiden Tischbeinen, tiberlaufen von Blut und Geifer. Dickblau ist die Zunge zwischen den Zahnen geklemmt. Und furchtbar, furchtbar rasselt und rdcnelt noch das Tier auf der Bank. Der Kopf zittert am Fell. Der Korper auf der Bank wirft sich. Die Beine zucken, stolten, kindlich duinne, knotige Beine. Aber die Augen sind ganz starr, blind. Es sind tote Augen. Das ist ein gestorbenes Tier. Der friedliche alte Mann steht an einem Pfeiler, mit seinem kleinen schwar- zen Notizbuch, blickt nach der Bank hertiber und rechnet. Die Zeiten sind teuer, schwer zu kalkulieren, schwer mit der Konkurrenz mitzukommen. BERNHARD DIEBOLD Hervorragender Theaterkritiker und Ver- Schweiz gestorben. - Diebold war ein fasser des Butches: ,,Anarchie im Drama", Meister der knappen Charakterisierung, in dem sich ein profundes Bihnenwissen wovon auch der hier auszugsweise wie- kundtut, ging nach 1933 in seine Heimat, dergegebene NACHRUF AUF KLABUND die Schweiz, zurtick und ist in der zeugt, den er vor Jahren geschrieben hat: Noch nicht siebenunddretifigjlhrig starb Klabund. Starb in einem Sana- torium. Starb mit zerfressener Lunge, viele Jahre lang. Und wurde nicht alter. Blieb ein Knabe mit erstaubten Augen hinter der Hornbrille. Ein Immer Sterbender und doch immerfort Bliuhender. Er hat eine Fulle ausgestreut wie kaum ein zweiter heutzutage. Lebende Blumen und auch leichte Papierrosetten zum Spiel. Es kam ihm nicht darauf an, sein Sentiment vertrug auch den Leicht-Sinn im Gef'ihl und In der Poesie. Er harfte unermildlich -uf der Klampfe. Warum nicht auch die dtinnen Tone zum t~berfluBl? Leicht-Sinn im schweren Kbrper, der immer sterben will. Henschke, Alfred Henschke, hieB der armsellge Leib. Henschke sttidierte Naturwissenschaft, verstand unendlich viel 7on Frdschen und Vogeln. Wul~te mit dem argen Leib Bescheid. WutSte ihn auch zu lieben, diesen Leib. Doch, das ist wieder schon Klabund, nicht :lenschke. Henschke wurde Dr. phil. - und als beriihmtem jungen Dichter ward ihm im Gymnasium seiner Vaterstadt iF Brandenburgischen eine Bilste aufgestellt. Das ist Henschke. Seine Seele aber, seine Jugend - dieses Leben nur aus Jugend lebend - hieti Klabund. 33
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